Hintergrund
Atommächte | Anzahl Atomtests seit 1945 |
---|---|
USA | 1.030 |
Russland/ehem. Sowjetunion | 715 |
Frankreich | 210 |
Großbritannien | 45 |
China | 45 |
Nordkorea | 6 |
Indien | 3 |
Pakistan | 2 |
Quelle: de.statista.com, Stand Juli 2020, vom 18. Februar 2022
Von 1945 bis 2017 gab es laut statista.com insgesamt 2.056 Atomtests.
Traurige Berühmtheit erlangte das Bikini-Atoll, welches ab 1946 in so hohem Maße kontaminiert wurde, dass die Bewohner für immer ihre Heimat verloren.[1]
Allein bei oberirdischen Atomtests in den 1950er und 1960er Jahren sind vier Tonnen Plutonium freigesetzt worden, die sich über die ganze Welt verteilten.[2]
Entschädigungszahlungen
USA → New Mexiko (USA), Nevada (USA), Atlantik, Pazifik
Der erste Atomtest der USA wurde am 16. Juli 1945 in der Wüste von New Mexiko durchgeführt. 1951 bis 1958 folgten 120 oberirdische und ab 1962 mehr als 1.000 unterirdische Atomtests in einem Testgelände in Nevada sowie weiteren im Atlantik und Pazifik, bis 1992 der Teststopp erfolgte. Bis 1963 wurden 380.000 Soldaten zu den Tests versandt, zum Teil ungeschützt.[3]
1978 berichtete der "Spiegel" von Strahlenexperimenten mit Soldaten, bei denen die "Auswirkung auf die Einsatzbereitschaft der Truppe" getestet wurde. Wenige Stunden, nachdem am 31. August 1957 der Atomsprengsatz "Smoky" in der Wüste Nevadas gezündet worden war, wurden 1.140 Soldaten in das stark kontaminierte Testgelände gesandt, um unter "atomaren Kriegsbedingungen" zu üben. Immer wieder wurden in Nevada derartige Menschenversuche durchgeführt. Tausende wurden erhöhter Gamma- und Beta-Strahlung ausgesetzt und erlitten Leukämie- und andere Krebserkrankungen. Pentagon und Atomenergie-Behörde dementierten Jahrzehnte lang, dass die später aufgetretenen Krankheiten mit der Strahlung zusammenhingen.[4]
1980 gab eine US-Regierungskommission zum ersten Mal zu, dass "wahrscheinlich" die Atomtests zu Erkrankungen und Todesfällen geführt hätten. 1990 verabschiedeten die USA ein Gesetz zur Entschädigung der Strahlenopfer.[5]
2002 kam die ganze Wahrheit ans Licht: Laut einer Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC in Atlanta starben 15.000 nach 1951 geborene Amerikaner an den Folgen der Strahlung, zusätzliche 20.000 erkrankten deswegen. Über den Vereinigten Staaten "sei wesentlich mehr radioaktiver Niederschlag niedergegangen als bislang angenommen."[6]
1986 wurde ein Fonds für Strahlenopfer eingerichtet. Die am stärksten geschädigten Bikini-Atolle erhielten laut "n-tv" 182 Mio. US-Dollar, von denen 50 Millionen Dollar für ein Gesundheitsprogramm und etwa 73 Millionen für Entschädigungszahlungen zur Verfügung gestellt wurden. Im Juli 2009 seien die Zahlungen eingestellt worden. Ein Vertreter der Geschädigten kritisierte, diesen stünden noch über 23 Mio. Dollar an persönlichem Schadenersatz, und weitere 2,2 Mrd. Dollar den von Atomtests betroffenen Marshallinseln zu.[7] Nach einer anderen Quelle, "FR Online", seien hingegen bis 2009 rund 1,4 Mrd. US-Dollar an Strahlenopfer gezahlt worden. 20.792 Anträge auf Entschädigung seien anerkannt, 8.531 zurückgewiesen worden.[5]
Rund 10.000 Filme über die Atomtests lagen Jahrzehnte lang in Geheimarchiven. 2017 wurden die ersten 64 digitalisiert, von der US-amerikanischen Regierung freigegeben und in YouTube öffentlich zugänglich gemacht.[8]
→ Youtube: LLNL Atmospheric Nuclear Tests
Russland → Kasachstan und Nowaja Semlja (ehem. Sowjetunion)
Am 29. August 1949 führte die ehemalige UdSSR auf dem Gelände Semipalatinsk-21 im Nordosten Kasachstans einen ersten Atomtest durch. Es erfolgten insgesamt ca. 467 Tests, davon 124 in der Atmosphäre. Die meisten Zeugen der ersten Tests sind mittlerweile an Krebs gestorben. Inoffiziellen Angaben zufolge waren über 10.000 Menschen deutlich erhöhter Strahlung ausgesetzt. Das Gelände ist weiterhin hoch verstrahlt, obwohl mit finanzieller Hilfe der USA riesige Flächen mit Beton bedeckt wurden. Bis heute bauen Menschen in der kontaminierten Region Getreide und Gemüse an, trinken verseuchtes Wasser. In den Körpern der Menschen haben sich radioaktive Substanzen abgelagert. "Jedes dritte Kind kommt dort behindert zu Welt, jeder zweite Erwachsene ist unfruchtbar."[9][10]
1954 wurden 45.000 Soldaten auf das Gelände Totski im Süden Russlands gebracht, um einen Atomkrieg zu simulieren – kurz nachdem dort ein Atomtest durchgeführt worden war.[3]
Für die Opfer der ersten Atomtests übernahm Russland übrigens erst 2002 die Verantwortung. Dies gilt aber nur für russische Staatsangehörige.[3]
Durch ab 1955 durchgeführte Atomwaffentests wurde auch die russische Insel Nowaja Semlja kontaminiert, u.a. durch die größte Explosion in der Menschheitsgeschichte mit der sogenannten "Zar-Bombe" (RDS-220). Diese Wasserstoffbombe wurde am 30. Oktober 1961 gezündet, zerstörte die komplette Umgebung in einem Radius von 55 Kilometern, erzeugte einen Feuerball bis in einer Höhe von 10 Kilometern und einen Atompilz bis in einer Höhe von 64 Kilometern. Die Bewohner waren vor den Atomtests evakuiert worden.[11][12]
Frankreich → Algerien und Französisch-Polynesien
Bis 2001 hatte die französische Regierung noch bestritten, dass es infolge seiner insgesamt 210 Atomtests in Algerien und Polynesien überhaupt Strahlenopfer gegeben habe.[13]
In der algerischen Sahara sollen kurz nach einem der Tests französische Rekruten absichtlich an den Ort der Explosion geführt worden sein, um "die körperlichen und seelischen Auswirkungen der Atomwaffe auf den Menschen zu erkunden." Viele der Atomtestveteranen leiden heute an Krebs und anderen Strahlenkrankheiten.[3]
Nachdem Algerien 1962 seine Unabhängigkeit von Australien erlangt hatte, entschied sich Frankreich für das Mururoa-Atoll in der pazifischen Inselregion Französisch-Polynesien als neues Testgelände und führte dort ab dem 2. Juli 1966 193 Atomtests durch, 46 davon oberirdisch, 147 unter Wasser. Für das Testprogramm arbeiteten rund 150.000 Menschen, von denen viele der Strahlung ungeschützt ausgesetzt waren, an Krebs erkrankten und starben. Das Plutonium verseuchte nicht nur das Atoll und ganz Polynesien, sondern wurde auch ausgeschwemmt. 1974 ging über dem 1.200 Kilometer entfernten Tahiti zwei Tage lang radioaktiver Regen nieder, und die Belastung durch Plutonium überstieg die Grenzwerte um das 500fache. Auch in Adelaide in Australien und Südamerika wurde die radioaktive Substanz nachgewiesen. In Polynesien ist die Anzahl der Leukämie- und Schilddrüsenkrebserkrankungen bis heute signifikant höher als anderswo.[14][15]
Erst 1996, dreißig Jahres später, nachdem es scharfe internationale Proteste gegeben hatte, ließ der damalige Präsident Chirac die Testserie mit einem letzten Test beenden.[13]
2009 wurde berichtet, dass Frankreich den Opfern 10 Mio. Euro Entschädigung für ein Jahr bereitstellen wolle. Vorgesehen sei das Geld für Militärangehörige und Zivilpersonen. "Auch Einheimische, die nahe der Testgelände lebten, könnten Anträge stellen."[13] 2016 versprach Präsident Hollande ab 2017 mindestens 90 Millionen Euro jährlich. Das ist weit weniger als die 150 Millionen Euro, die vormals Präsident Chirac in Aussicht gestellt hatte.[16] Außerdem solle das Verfahren zur Anerkennung von Strahlenschäden erleichtert werden. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden nur zwanzig Anträge von tausend genehmigt, die gestellt wurden.[17]
Großbritannien → Australien und Kiritimati
In den 1950er und 1960er Jahren führte Großbritannien Atomtests in Australien durch. Betroffen waren Maralinga und die Emu Fields in Südaustralien sowie eine Region in der Nähe der westaustralischen Montebello-Inseln im Indischen Ozean. Trotz Evakuierung waren Aborigines "extremer Strahlenbelastung" ausgesetzt, u.a. 1.200 in Maralinga. "Weite Teile der betroffenen Regionen sind bis heute schwer kontaminiert."[18]
Die Geschädigten, die bis heute unter gesundheitlichen Problemen leiden, mussten über 60 Jahre warten, bis man ihnen kassenärztliche Leistungen zusprach. Erst im Mai 2017 erhielten sie eine "Goldkarte", mit der sie Anspruch auf eine umfassende gesundheitliche Versorgung besitzen. Die Bewegung für die Rechte der Aborigines in Südaustralien (ALRM) vermutet, dass dies so lange gedauert habe, weil die gesundheitlichen Leistungen für die australische Regierung jetzt günstiger seien als die Jahrzehnte zuvor.[18]
Die Weihnachtsinsel (Kiritimati) im Zentrum des Pazifiks ist Teil des Inselstaates Kiribati. Ende der 1950er Jahre, als sie noch zur britischen Kolonie Gilbert and Ellice Islands gehörte, führte Großbritannien dort Atomtests durch. Tausende Soldaten, aber auch 70 Bewohner der Fidschi-Inseln, leisteten dabei Dienst, wurden radioaktiver Strahlung ausgesetzt und erlitten Gesundheitsschäden. Bis 2013 hatte sich die britische Regierung geweigert, einen Entschädigungsfonds für Atomtest-Veteranen und deren Nachkommen zu öffnen. Erst 2014 kündigte Premierminister Cameron an, die Vorschläge der Veteranen noch einmal prüfen zu lassen. 2015 erklärte der Premierminister der Fidschi-Inseln, die Betroffenen nun selbst entschädigen zu wollen, und verband dies mit scharfer Kritik an der britischen Regierung.[19]
China → Lop-Nor/Taklamakan (China)
Im Juni 1959 gründete die chinesische Regierung einen geheimen Standort für Atomtests am See Lop Nor in der Taklamakanwüste in der Provinz Xinjiang. Dort wurden zwischen 1964 und 1994 insgesamt 45 Atomtests durchgeführt.[20]
An den Atomtests waren annäherend 100.000 Soldaten beteiligt, die meist nur mit der Uniform bekleidet waren und der Strahlung ungeschützt ausgesetzt wurden. Liu Qing, einer der Veteranen, berichtete, dass bei einem Atomtest 30.000 Soldaten drei Minuten nach einer Atomexplosion auf das Gelände geschickt wurden und dort militärische Trainings durchführen mussten. Die Beteiligten leiden bis heute an Strahlungskrankheiten, die Jahrzehnte lang geheimgehalten und von den Behörden nicht anerkannt wurden. 30 Jahre lang wurden von Tausenden von Soldaten Petitionen eingereicht, aber nur wenige haben eine Entschädigung erhalten. Viele von ihnen sind mittlerweile verstorben.[20]
Am 29. Juli 1996 soll offiziell der letzte Test stattgefunden haben, und am 24. September 1996 unterzeichnete China den umfassenden Kernwaffenteststopp-Vertrag.[20] 2012 wurde berichtet, dass das Testgelände zu einem Ausflugsziel für Touristen ausgebaut werden soll.[21]
→ DER SPIEGEL 39/1994: Atomtests gehen weiter vom 25. September 1994
Kernwaffenteststopp-Verträge: PTBT und CTBT
1954 regte der damalige indische Premierminister Jawaharlal Nehru ein sogenanntes Stillhalteabkommen (Standstill Agreement) für Atomtests an.[22]
1963 wurde ein teilweiser Kernwaffenteststopp-Vertrag (Partial Nuclear Test-Ban Treaty, PTBT) unterzeichnet. Dieser Vertrag untersagt zwar Atomtests im Weltraum, der Atmosphäre und unter Wasser, unterirdische werden jedoch weiterhin erlaubt. Dadurch hat sich der radioaktive Fallout reduziert, die Anzahl unterirdischer Atomtests ist hingegen stark angestiegen.[22]
Nach der Verabschiedung des Atomwaffensperrvertrags (Nuclear Non-Proliferation Treaty, NPT) im Jahr 1968 wurde ein umfassendes Teststoppabkommen lediglich diskutiert; Konferenzen dafür wurden für 1995 und 2000 geplant.[22]
1994 wurden auf der Abrüstungskonferenz in Genf formale Verhandlungen für den umfassenden Kernwaffenteststopp-Vertrag (Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty CTBT) eingeleitet, die 1996 abgeschlossen wurden. Am 10. September 1996 nahm die UN-Generalversammlung den CTBT an und gab ihn am 24. September zur Unterzeichnung frei. Die Ziele des Vertrags sind ein weltweites Verbot aller nuklearen Explosionen durch jedermann und Überwachungsmaßnahmen, dass dieses eingehalten wird. Dazu wurde die Organisation zur Überwachung des Internationalen Atomwaffenteststoppabkommens (Preparatory Commission for the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization, CTBTO) gegründet.[22]
Bislang haben 186 von 196 Staaten den CTBT-Vertrag unterzeichnet; nicht unterzeichnet haben 10 Staaten, darunter die Atommächte Nordkorea, Indien und Pakistan (Status: März 2023).[23]
Es wird ein weltweites Messnetz zur Überwachung von Teststopps betrieben.[24]
Weitere Informationen zu diesem Thema finden sich u.a. auf folgenden Seiten:
→ CTBTO (Homepage)
→ UN: Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty (CTBT)
→ BfS: Der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Kernwaffenteststopp-Vertrag: CTBT) und seine Überwachung
Weitere Links
→ Atomwaffen weltweit
→ Atomwaffen in Deutschland
(Letzte Änderung: 11.02.2024)
Einzelnachweise
- ↑ Spiegel.de Verbrannt von tausend Sonnen vom 12. Januar 2011
- ↑ Focus Online: Kurz erklärt - Das strahlende Gift Plutonium vom 9. September 2015
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 FR Online: Rekruten als Versuchskaninchen vom 16. Februar 2010 (via WayBack)
- ↑ DER SPIEGEL 37/1978: ATOMTESTS - Haar verloren vom 10. September 1978
- ↑ 5,0 5,1 FR Online: Entschädigung für Atomtests USA zahlen - ein wenig vom 2. Juli 2009
- ↑ Spiegel Online: Atomwaffentests - 15.000 Krebstote in den USA vom 28. Februar 2002
- ↑ n-tv.de: US-Fonds stellt Zahlungen ein - Kein Geld mehr für Atomtest-Opfer vom 14. Juli 2009
- ↑ shz.de: Jahrzehntelang unter Verschluss: Videos zeigen geheime Atomwaffentests der USA – auf Youtube vom 22. März 2017
- ↑ Zeit Online: Atombombentests in Russland: Der Tag der tödlichen Strahlen vom 2. September 2009
- ↑ Deutscher Bundestag: Radioaktive Altlasten in den Nachfolgestaaten der UdSSR und in Osteuropa (Drucksache 12/8410. S.12) vom 1. September 1994
- ↑ Spiegel Online: "Zar"-Bombe - Die Alles-weg-Maschine vom 28. ktober 2011
- ↑ Deutscher Bundestag: Radioaktive Altlasten in den Nachfolgestaaten der UdSSR und in Osteuropa (Drucksache 12/8410. S.5) vom 1. September 1994
- ↑ 13,0 13,1 13,2 Focus Online: 10 Millionen Euro Entschädigung für Opfer von Atomwaffentests vom 24. März 2009 (via WayBack)
- ↑ Spiegel Online: Frankreichs Atomtests auf Mururoa - Das verstrahlte Paradies vom 1. Juli 2016
- ↑ Deutschlandfunk: Frankreichs Nuklearstrategie - Strahlende Altlasten in Polynesien vom 1. Juli 2016
- ↑ NZZ.ch Sehnsucht nach der Südsee - Hollande fliegt ans Ende der Welt vom 23. Februar 2016
- ↑ Deutsche Welle Frankreich geht auf Opfer von Atomtests zu vom 23. Februar 2016
- ↑ 18,0 18,1 aerzteblatt.de: 60 Jahre nach Atomtests erhalten Ureinwohner in Australien bessere Versorgung vom 9. Mai 2017
- ↑ NZZ: Atomtests im Pazifik - Fidschi erteilt den Briten eine Lektion vom 2. Februar 2015
- ↑ 20,0 20,1 20,2 Epoch Times: Nuclear Testing in China’s Western Territory vom 13. März 2012 (via WayBack)
- ↑ Spiegel Online: Roter Tourismus in China - Atombomben-Testgelände soll Reiseziel werden vom 19. Oktober 2012
- ↑ 22,0 22,1 22,2 22,3 ctbto.org: History: Summary abgerufen am 21. Mai 2017 (via WayBack)
- ↑ CTBTO: Status of Signature and Ratification abgerufen am 4. März 2023
- ↑ BfS: Der Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (Kernwaffenteststopp-Vertrag: CTBT) und seine Überwachung abgerufen am 4. März 2023