Atomenergie in Europa > Belgien
Fünf aktive Reaktoren

Huy (Belgien), im Hintergrund: AKW Tihange
Belgien besitzt, gemessen an der Größe des Landes, mit drei Reaktoren über 1.000 MW und zwei weiteren über 400 MW ein vergleichsweise großes Arsenal an Atomkraftwerken.
Der Einstieg in die friedliche Nutzung der Atomkraft in Belgien, das seit 1958 Mitglied der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) ist,[4] begann mit den zwei Forschungsreaktoren BR-1 und BR-2 in Mol. Diese sind 1956 und 1961 in Betrieb gegangen und heute noch aktiv.[5] Von 1962 bis 1987 wurde in Mol der Prototyp BR-3 (Belgian Reactor-3) betrieben, der aus den USA importiert wurde und der erste Druckwasserreaktor in Europa war.[6]
1966 fiel laut einem Bericht der World Nuclear Association (WNA) die Entscheidung zum Bau der kommerziellen Reaktoren Doel-1 und -2 sowie Tihange-1. 1974 wurden weitere vier Reaktoren für diese beiden Standorte bestellt. Pläne für einen zusätzlichen achten Reaktor mit 1.400 MW wurden 1989 verworfen. Nach der Abschaltung von Doel-3 am 23. September 2022 und Tihange-2 am 31. Januar 2023 werden aktuell fünf Reaktoren betrieben.[6][3]
→ Doel |
Belgien ist auch im Bereich der Wiederaufarbeitung tätig. → Mol (Belgien)
Ausstiegsbeschluss 2003
Belgien ist in hohem Maße von der Atomkraft abhängig, die 2019 rund 50 % des Strombedarfs deckte.[1] 2012 stammten nur 6,8 % des in Belgien erzeugten Stroms aus alternativen Quellen.[7]
Es hat bereits einen Anlauf gegeben, die Abhängigkeit von der Atomkraft zu verringern.
Am 31. Januar 2003 beschloss der belgische Senat, keine neuen Atomkraftwerke mehr bauen zu lassen und die Laufzeiten aller Reaktoren auf 40 Jahre zu beschränken; diese sollten schrittweise zwischen 2014 und 2025 abgeschaltet werden. 2009 entschied die Regierung zwar, diesen Beschluss zu kippen und den Ausstieg um 10 Jahre zu verschieben. Dies wurde aber nach den Parlamentswahlen im April 2010 nicht ratifiziert, so dass der Ausstiegsbeschluss weiter gültig blieb.[6]
Infolge der Fukushima-Katastrophe verlor die Atomkraft auch in Belgien an Akzeptanz. Im September 2011 kam es zu Demonstrationen in Belgien gegen das AKW Tihange.[8] Im Oktober 2011 ereignete sich ein Unfall in der Wiederaufarbeitungsanlage Belgoprocess an einem Plutonium-Behälter, bei dem drei Menschen verstrahlt wurden.[9]
Am 31. Oktober 2011 wurde der alte Ausstiegsbeschluss von 2003 bestätigt, allerdings mit dem Vorbehalt, dass die Energieversorgung gesichert sein müsse.[10]
Atomausstieg nicht vor 2035?
Seit 2012 ist der Beschluss zum schrittweisen Ausstieg zum Teil wieder zurückgefahren worden.
Am 4. Juli 2012 entschied die belgische Regierung zunächst, Tihange 1 bis 2025 weiterlaufen zu lassen, also 10 Jahre länger als geplant, um Stromengpässe zu vermeiden.[11]
Die alten belgischen Atomkraftwerke rufen große Besorgnis bei den Nachbarländern Deutschland und Luxemburg hervor,[12] insbesondere nachdem 2012 bei den Reaktoren Doel-3 und Tihange-2 Tausende von bis zu 18 Zentimeter lange Risse an den Reaktorbehältern festgestellt wurden.[13]
Am 18. Dezember 2014 wurden auch die Laufzeiten von Doel-1 und -2 um zehn Jahre bis 2025 verlängert. Die belgische Energieministerin kündigte zugleich an, dass alle Reaktoren bis 2025 ausgeschaltet werden sollen.[14] Dies wurde durch den am 30. März 2018 von der Regierung beschlossenen Energiepakt bestätigt; alle sieben Einheiten sollen zwischen 2022 und 2015 vom Netz gehen.[15]
Im November 2018 waren wegen Sicherheitsmängel und Reparaturen sechs der sieben Einheiten abgeschaltet. Es gab Probleme bei der Versorgungung mit Strom, aber schon im selben Monat entspannte sich die Lage wieder.[16]
Im März 2022 kündigte die belgische Regierung an, Tihange-3 und Doel-4 bis 2035 weiterlaufen lassen zu wollen, um die Energiesicherheit angesichts stark angestiegener Energiepreise gewährleisten zu können.[17]
Der Betreiber Engie Electrabel beschloss, aus "technischen Gründen und wegen Sicherheitsbedenken" Doel 3 am 23. September 2022 abschalten, Tihange 2 im Februar 2023.[18]
Tihange-2 wurde am 31. Januar 2023 endgültig abgeschaltet.[3]
Gefährdung durch Terrorismus
Terrorgefahr auch für belgische Atomkraftwerke
euronews vom 23. März 2016
In Februar 2016 wurde bekannt, dass die IS-Terroristen, die am 13. November 2015 Anschläge in Paris verübten, auch die belgischen Atomanlagen im Visier hatten. So fanden sich auf einem Video Überwachungsaufnahmen des Direktors des belgischen Atomprogramms. Belgien und Frankreich beschlossen daraufhin, ihre AKW besser zu schützen.[19] Anfang März 2016 kündigte der belgische Innenminister den Einsatz von 140 Soldaten zum Schutz der Atomanlagen des Landes an. Dies betrifft neben Doel und Tihange auch "das Institut für Radioelemente in Fleurus und das Studienzentrum für Kernenergie in Mol". Später soll eine Spezialtruppe der Polizei diese Aufgaben übernehmen.[20]
Nach den Brüsseler Terroranschlägen am 22. März 2016 wurde die Belegschaft in Doel und Tihange teilweise evakuiert, da man Terrorangriffe dort arbeitender islamistischer "Schläfer" befürchtete.[21] "Einigen Mitarbeitern wurde danach laut belgischen Medienberichten der Zugang zu den Gebäuden entzogen."[22] Außerdem wurde "die Belegschaft des Nuklearzentrums in Mol auf Wochenend-Personalstärke reduziert."[23]
Die Behörden räumten zudem ein, dass ein belgischer Dschihadist von 2009 bis 2012 im Hochsicherheitsbereich des Atomkraftwerks Doel beschäftigt worden war.[24]
(Letzte Änderung: 17.02.2024)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 IAEA: PRIS - CountryStatistics/Belgium abgerufen am 3. Oktober 2022
- ↑ nuklearborum.ch: Belgiens Atomausstieg: Doel-3 endgültig abgeschaltet vom 26. September 2022
- ↑ 3,0 3,1 3,2 nuklearforum.ch: Belgien: Tihange-2 trotz Kritik endgültig abgeschaltet vom 1. Februar 2023
- ↑ IAEO: Member States abgerufen am 11. März 2016
- ↑ IAEO: Research Reactors/Countries: Belgium abgerufen am 4. April 2014
- ↑ 6,0 6,1 6,2 WNA: Belgium abgerufen am 17. Februar 2024
- ↑ BRF: Belgien hinkt bei erneuerbaren Energien weit hinterher vom 10. März 2014
- ↑ grenzecho.net: 2000 bei Demo in Tihange vom 19. September 2011
- ↑ Focus Online: Drei Menschen in Wiederaufbereitungsanlage verstrahlt vom 4. Oktober 2011
- ↑ Spiegel Online: Aus für sieben Reaktoren: Belgien will ab 2015 aus Atomkraft aussteigen vom 31. Oktober 2011
- ↑ BRF online: Wathelet: Electrabel blufft mit Drohung wegen Tihange vom 5. Juli 2012
- ↑ Deutsche Welle: Belgiens AKWs machen Nachbarn Sorgen vom 19. Januar 2016
- ↑ Spiegel Online: Atomkraftwerke: Tausende Risse in belgischen Reaktoren entdeckt vom 26. Februar 2015
- ↑ World Nuclear News: Belgian government approves life extensions vom 19. Dezember 2014
- ↑ nuklearforum.ch: Energiepakt Belgiens bestätigt Kernenergieausstieg vom 18. April 2018
- ↑ Wortschaftswoche: Droht Belgien wegen maroder Atommeiler der Blackout? vom 18. November 2018
- ↑ Focus Online: Kraftwerk nahe deutscher Grenze betroffen: Belgien verschiebt Atomausstieg um zehn Jahre vom 18. März 2022
- ↑ Stuttgarter Zeitung: Belgien nimmt zwei Atommeiler vom Netz vom 15. Juli 2022
- ↑ tageblatt.lu: IS-Attentäter hatten Belgiens AKW im Visier vom 17. Februar 2016
- ↑ Westdeutsche Zeitung: Soldaten schützen Belgiens Atomreaktoren vom 8. März 2016
- ↑ Focus Online: Terrorattacken - "Schläfer in Atomkraftwerken warten nur darauf zuzuschlagen" vom 23. März 2016
- ↑ Focus Online Sein Zugangsausweis wurde gestohlen - Sicherheitsbeamter vor belgischem Atomkraftwerk getötet vom 26. März 2016
- ↑ Focus Online Terrorattacken - "Schläfer in Atomkraftwerken warten nur darauf zuzuschlagen" vom 23. März 2016
- ↑ Spiegel Online: Terror in Belgien: Verdächtiges Personal im Atomkraftwerk vom 23. März 2016