Atomenergie in Europa > Russland > Beloyarsk (Russland)
2 graphitmoderierte Leichtwasserreaktoren, 2 schnelle Brüter • Hersteller: Minatomenergo •
Leistung: 108 MW/160 MW/600 MW/885 MW • Typ: AMB-100/AMB-200/BN-600/BN-800
Baubeginn: 1958/1962/1969/2006 • Inbetriebnahme: 1963/1967/1980/2014 •[1][2]
Abschaltung: 1983/1990/offen/offen
Ausbau der Brütertechnologie
Russland hält weiter am Betrieb Schneller Brüter fest, die in anderen Staaten wegen technischer Probleme, Störfällen, Sicherheitsbedenken und aus ökonomischen Gründen längst aufgegeben wurden (→ Monju in Japan, → Phénix und → Superphénix/Creys-Malville in Frankreich) bzw. nie ans Netz gingen (→ Kalkar (Nordrhein-Westfalen)).
Am Standort Beloyarsk, der nur 3 km von der Satellitenstadt Zarechny und 45 km von der Millionenstadt[3] Jekaterinburg entfernt ist, werden derzeit zwei aktive Schnelle Brüter der Typen BN-600 und BN-800 und einer Leistung von 600 bzw. 885 MW betrieben, die 1980 und 2014 in Betrieb gegangen sind (Beloyarsk-3 und -4). Beloyarsk-1 (Betrieb von 1963 bis 1983) und -2 (Betrieb von 1967 bis 1990) wurden stillgelegt. Eigentümer von Beloyarsk-1 und -2 war das sowjetische Ministerium für den Bau mittlerer Maschinen (MINSREDMASH), Betreiber Rosenergoatom. Eigentümer und Betreiber von Beloyarsk-3 und -4 ist Rosenergoatom.[1][4] Hersteller war Minatomenergo.[2]
Am 1. April 2020 verlängerte die russische Aufsichtsbehörde Rostechnadzor die Betriebsgenehmigung für Beloyarsk-3 um fünf Jahre bis 2025.[5]
Experten von Beloyarsk unterstützten China bei einem Brüter-Forschungsprojekt und dem Bau des Schnellen Brüters CEFR in Tuoli.[6]
Wissenschaftler, wie z. B. der Physiker Helmut Hirsch, kritisieren die auslegungsbedingten Risiken Schneller Brüter: atomare Explosionen bei Unfällen und Explosionsgefahr wegen der Kühlung mit Natrium, welches "heftig mit Luft und Wasser reagiert".[7]
BN-800: MOX, Waffenplutonium, Transuranelemente
Zweck des neuen Schnellen Brüters Beloyarsk-4 war u.a., Plutonium zu beseitigen, das ursprünglich für 8.500 russische Atomsprengköpfe vorgesehen war. Die Vernichtung des Plutoniums war 2011 in einem Abkommen zwischen Russland und den USA beschlossen worden. Die USA unterstützten deshalb den Bau des Reaktors mit 300 Mio. US-Dollar.[8]
Am 27. Juni 2014 wurde im BN-800 die erste selbsterhaltende nukleare Kettenreaktion in Gang gesetzt.[9] Die kommerzielle Inbetriebnahme war ursprünglich für Ende 2014 geplant.[10] Der Reaktor ging jedoch erst am 10. Dezember 2015 ans Netz, und die kommerzielle Inbetriebnahme begann am 31. Oktober 2016.[1]
In Beloyarsk-4 werden MOX-Brennelemente verwendet; mit der ersten Ladung Ende 2015 wurde auch Waffenplutonium einbezogen.[11] Ob das jetzt noch zutrifft, ist unklar, weil Russland den Vertrag mit den USA 2016 einseitig ausgesetzt hat.[12]
Am 13. September 2022 wurde der BN-800 wieder ans Netz angeschlossen, nachdem er vollständig mit MOX-Brennstoff beladen worden war. Das Plutonium dafür war durch Wiederaufarbeitung aus den gebrauchten Brennelementen anderer Kernkraftwerke zurückgewonnen worden.[13]
Nach einer Meldung vom Januar 2024 hat Russland drei experimentelle Brennelemente hergestellt, die neben MOX auch die Transuranelemente Americium-241 (Am-241) und Neptunium-237 (Np-237) enthalten und 2024 im BN-800 bestrahlt werden sollen. Ziel ist eine Umwandlung der langlebigen Elemente in kurzlebigere Fragmente.[14]
→ National Academies Press: The Use of Sodium-Cooled Fast Reactors for Effectively Reprocessing Plutonium and Minor Actinides abgerufen am 3. September 2023</ref>
BN-1200: Baubeginn verschoben
In Russland wird außerdem eine neue Baureihe des Schnellen Brüters BN-1200 entwickelt, die ebenfalls in Belojarsk errichtet werden soll.[9]
Der Baubeginn für zwei geplante BN-1200-Einheiten wurde 2015 zunächst auf das Jahr 2020 mit der Begründung verschoben, der Brennstoff müsse verbessert werden. Außerdem wurde die wirtschaftliche Machbarkeit in Frage gestellt. Eigentlich sollten beiden Einheiten 2025 in Betrieb gehen.[15]
Nach einem Bericht vom Januar 2024 soll aber erst 2027 mit dem Bau begonnen werden. Der BN-1200 soll der größte Schnelle Brüter der Welt werden und auch minore Nukleide verbrennen.[16]
Störfälle: zerstörte Brennstoffkanäle, Schmelzen von 50 % der Brennelemente (1977), Feuer, Lecks
1964 bis 1979 gab es eine Serie von Ereignissen, bei denen in Beloyarsk-1 Brennstoffkanäle zerstört und Arbeiter mit erhöhter Strahlung belastet wurden. 1977 schmolzen 50 % der Brennelemente in Beloyarsk-2; das Personal wurde hoher Radioaktivität ausgesetzt. Die Reparaturarbeiten dauerten ungefähr ein Jahr. Der Vorfall wurde als ernster Unfall mit INES-Stufe 5 klassifiziert. Bei einem Feuer, das wegen einer herunterfallenden Abdeckplatte am 31. Dezember 1978 ausbrach, erlitten acht Personen eine erhöhte Strahlendosis.[17][18]
Es wurde zudem über diverse Störfälle beim Brüter-Betrieb in den 1990er Jahren berichtet: Austritt von radioaktivem Wasser aus einem Atommüll-Lagertank im Dezember 1992 (INES-Level 2), Natriumlecks im Oktober und November 1993 sowie im Mai 1994, bei dem Natrium in Kontakt mit der Luft geriet und Feuer fing (jeweils INES-Level 1), und schließlich ein weiteres Natriumleck im Juli 1995.[19]
Nach einem Feuer im Mai 1994, das bei einer Generalüberholung ausbrach, gelangte ebenfalls Radioaktivität in die Umwelt.[20]
Am 12. Juli 2019 musste die Einheit 4 vom Netz genommen werden. Ursache war laut Rosenergoatom die außerplanmäßige Abschaltung des elektrischen Generators.[21]
Weitere Links
→ Rosenergoatom: Beloyarsk NPP (Homepage des Betreibers)
→ euanmearns.com: The BN-800 Fast Reactor – a Milestone on a Long Road vom 4. November 2016
→ fissilematerials.org: Russian BN-800 fast breeder reactor connected to grid vom 15. Dezember 2015
(Letzte Änderung: 25.03.2024)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 IAEO: PRIS - Country Statistics/Russian Federation abgerufen am 23. September 2020
- ↑ 2,0 2,1 IAEO: LES CENTRALES NUCLEAIRES DANS LE MONDE von 1997
- ↑ statista: Russland: Die zehn größten Städte im Jahr 2021 abgerufen am 22. Januar 2022
- ↑ Rosenergoatom: Beloyarsk NPP abgerufen am 23. September 2020
- ↑ nuklearforum.ch: Fünf weitere Betriebsjahre für russische BN-600-Einheit vom 6. April 2020
- ↑ NTI: China Experimental Fast Reactor (CEFR) abgerufen am 23. September 2020
- ↑ Deutsche Welle: "Bei jedem Reaktortyp besteht die Möglichkeit eines katastrophalen Unfalls" vom 9. April 2006
- ↑ DER SPIEGEL 36/2012: Wie sollen wir das schaffen? vom 3. September 2012
- ↑ 9,0 9,1 rt.com: Fast reactor starts clean nuclear energy era in Russia vom 27. Juni 2014
- ↑ world nuclear news: Rosenergoatom already learning from BN-800 vom 10. Dezember 2014
- ↑ ingenieur.de: BN-800: Größter Schneller Brüter speist jetzt ins Netz vom 15. Dezember 2015
- ↑ Focus Online: Russland setzt Vertrag mit USA zu Plutonium-Beseitigung aus vom 4. Oktober 2016
- ↑ world nuclear news: Beloyarsk BN-800 fast reactor running on MOX vom 13. September 2022
- ↑ nuklearforum.ch: Russland: experimentelle Brennelemente mit Anteilen an radioaktiven Abfällen hergestellt vom 3. Januar 2024
- ↑ nuklearforum.ch: Russland verschiebt Bau des Schnellen Brüters BN-1200 vom 21. April 2015
- ↑ neimagazine.com: Russia’s BN1200 to begin construction in 2027 vom 22. Januar 2024
- ↑ rri.kyoto-u.ac.jp: The Chernobyl Reactor: Design Features and Reasons for Accident abgerufen am 23. September 2020
- ↑ Atmospheric Chemistry and Physics: Global risk of radioactive fallout after major nuclear reactor accidents vo 12. Mai 2012
- ↑ Nuclear Energy Institute: Soviet-Designed Nuclear Power Plants in Russia, Ukraine, Lithuania, Armenia, the Czech Republic, the Slovak Republic, Hungary and Bulgaria (Fifth Edition) von 1997 (via WayBack)
- ↑ DIW Berlin: Sicherheitsdefizite in den Kernkraftwerken von 1996 (via WayBack)
- ↑ world nuclear news: Kalinin and Beloyarsk outages due to non-nuclear faults, says Rosenergoatom vom 19. Juli 2019