Atomfabriken in Deutschland > Brennelementfertigungsanlage Lingen
Betrieb seit 1979
Die Brennelementfertigungsanlage Lingen wurde im Januar 1979 in Betrieb genommen. Laut BASE sind 147 meldepflichtige Ereignisse bis Ende 2021 gezählt worden.[1]
Eigentümer des Werkes in Lingen ist die Advanced Nuclear Fuels GmbH, die unter anderem Namen zunächst eine hundertprozentige Siemens-Tochter war, "dann ein Tochterunternehmen der Framatome ANP, später zunächst in AREVA NP und nachfolgend in FRAMATOME umbenannt."[2] Von 2006 bis 2008 fiel das Brennelementewerk damit übrigens unter die Leitung des ehemaligen Executive Vice President Dr. Ralf Güldner, dem späteren Präsidenten der Atomlobbyorganisation Deutsches Atomforum (DAtF).[3]
Das Werk setzt sich aus einem Fertigungsgebäude und Lagerbereichen für Reststoffe, Zwischenprodukte, Brennstäbe und radioaktive Abfälle zusammen. Zum Werk Lingen gehören noch zwei weitere Standorte in Karlstein und Duisburg, die Komponenten und Rohre zuliefern. Die Fertigung von Brennelementen läuft wie folgt ab: Nach der Konversion von angereichertem Uranhexafluorid zu Urandioxid-Pulver werden Urantabletten gepresst und in Hüllrohre gefüllt. Mit dem Verschweißen der Hüllrohre sind die Brennstäbe gefertigt und werden abschließend zu Brennelementen montiert.[2][4]
2012 wurden Stresstests angekündigt, bei denen auch für Lingen der Schutz vor Erdbeben, Flugzeugabstürzen, Hochwasser, Wetterkatastrophen, Explosionen, Stromausfällen und Bränden überprüft werden sollte.[5] Laut der Entsorgungskommission (ESK) vom 14. März 2013 wiesen alle Zwischenlager und Brennstofffabriken einen hohen Grad an Robustheit auf und hätten daher den Stresstest bestanden. Die ESK war vom Bundesumweltministerium mit der Durchführung der Stresstests beauftragt worden. [6] Atomkraftgegner kritisieren den Stresstest als "verharmlosend", da er Gefahren wie Terrorangriffe oder "chemische Folgereaktionen" ausblende.[7]
Bundesregierung verweigert Schließung
Umweltschützer kritisierten, dass Deutschland trotz Atomausstiegs Brennelemente im eigenen Land produzieren lässt und das Brennelementewerk Lingen im Atomausstiegsgesetz nicht erwähnt wird. Sie fordern die sofortige Stilllegung.[8] Im Oktober 2012 protestierten neun Umweltaktivisten mit einer mehrstündigen Blockade der Zufahrt gegen den Weiterbetrieb des Brennelementewerks.[9]
Am 7. März 2013 erklärte die Bundesregierung, dass sie die Brennelementefabrik weiter betreiben wolle, denn diese "unterscheide sich grundlegend von Kernkraftwerken und den Sicherheitsgründen, aus denen deren Abschaltung beschlossen worden sei".[10]
Aufgrund einer Kleinen Anfrage des Bundestages teilte die Bundesregierung im April 2013 mit, dass 610 Tonnen angereichertes Uran in den Jahren 2007 bis 2012 in das Brennelementewerk geliefert wurden. Von 82 Tonnen im Jahre 2011 haben sich die Lieferungen auf 189 Tonnen 2012 mehr als verdoppelt.[11]
Im Juli 2013 wurde die Zufahrt der Brennelementefabrik neuerdings von Atomkraftgegnern blockiert, diesmal von 43 Aktivisten, die den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie forderten.[12]
Nach einer Meldung im NDR vom September 2013 weigerte sich die Bundesregierung, das Brennelementewerk zu schließen: es stünden Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf dem Spiel. Ein Antrag Nordrhein-Westfalens auf eine Änderung des Atomgesetzes, die eine Schließung ermöglichen würde, ist auf unbestimmte Zeit vertagt worden.[13]
2017 wurden zwei Rechtsgutachten veröffentlicht, die das Bundesumweltministerium beauftragt hatte. Ein Gutachten kam zum Ergebnis, dass ein "Gesetz zur Beendigung der Urananreicherung und der Brennelementefertigung (..) mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben" würde. Im anderen Gutachten wurde empfohlen, "Übergangsregelungen oder eine Entschädigungszahlung als Ausgleich für verlorene Investitionen und entgangene Gewinne" vorzusehen, um auch dann bestehen zu können, wenn ein Schiedsgericht angerufen würde.[14]
Neben Lingen gab es in Hanau und Karlstein noch weitere Brennelementewerke, die aber mittlerweile stillgelegt wurden.[15]
Export von Brennelementen
Obwohl Deutschland den Atomausstieg plant, wird weiter nach Frankreich, Schweden, Finnland, Belgien, die Niederlande, die Schweiz, Spanien und China exportiert.[13] Deutsche Brennelemente werden auch im maroden Atomkraftwerk Doel eingesetzt. → Verkauf an Belgien
Im Dezember 2022 kritisierten Anti-Atomkraft-Initiativen Pläne des Betreibers ANF, "künftig Brennstäbe für in Osteuropa betriebene Kernkraftwerke russischer Bauart produzieren".[16]
Zwischenfälle
2018 kam es zu diversen Störfällen in der Anlage: einer Fehlfunktion in der Wasserdampfversorgung am 7. November, Rissen an einem Reaktionsbehälter in der Trockenkonversionsanlage am 4. Dezember und einem Brand am 6. Dezember im nuklearen Bereich.[17]
Weitere Quellen
→ framatome: Der Standort Karlstein - Advanced Nuclear Fuels GmbH (ANF) abgerufen am 29. März 2023
→ Landtag Niedersachsen - Kleine Anfrage mit Antwort: Drs. 16/4706 vom 9. März 2012/17. April 2012
→ Entsorgungskommission: ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland, Teil 1 vom 14.03.2013 (via WayBack)
→ Entsorgungskommission: ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland, Teil 2 vom 18.10.2013 (via WayBack)
(Letzte Änderung: 29.03.2023)
Einzelnachweise
- ↑ BASE: Anlagen zur Kernbrennstoffver- und -entsorgung in Deutschland: Meldepflichtige Ereignisse seit Inbetriebnahme abgerufen am 29. März 2023
- ↑ 2,0 2,1 Niedersächsisches Ministerium für Umwelt, Energie und Umweltschutz: Brennelementfertigung abgerufen am 29. März 2023
- ↑ kernenergie.de: Dr. Ralf Güldner, Präsident des DAtF abgerufen am 8. März 2018 (via WayBack)
- ↑ de.areva.com: Advanced Nuclear Fuels GmbH: spezialisiert auf Brennelemente (Website und PDF) abgerufen am 6. September 2012 (via WayBack)
- ↑ Focus Online: Stresstests für atomare Zwischenlager laufen vom 7. Juni 2012 (via WayBack)
- ↑ Entsorgungskommission: ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland, Teil 1 vom 14.03.2013 (via WayBack)
- ↑ taz.de: Atommüll bis mindestens 2120 vom 3. April 2013
- ↑ Robin Wood: "Uranfabrik Lingen sofort stilllegen!" vom 11. Oktober 2012 (via WayBack)
- ↑ NOZ: Blockade auf dem Hochseil - Polizei beendet Protestaktion bei Brennelementehersteller in Lingen friedlich vom 12. Oktober 2012 (via WayBack)
- ↑ Deutscher Bundestag: Urananreicherung erfolgt weiter in Deutschland vom 7. März 2013
- ↑ Deutscher Bundestag: Seit 2007 wurden 610 Tonnen angereichertes Uran nach Lingen geliefert vom 10. April 2013
- ↑ NOZ: Blockade von Areva in Lingen ist aufgelöst vom 25. Juli 2013 (via WayBack)
- ↑ 13,0 13,1 NDR: "Plusminus": Nur halber Atomausstieg - Deutschland exportiert weiter Brennelemente vom 10 September 2013 (via Wayback)
- ↑ BMUB: URENCO-Gutachten abgerufen am 18. November 2017 (via WayBack)
- ↑ BfS: A.17 Anlagen des Brennstoffkreislaufs in Deutschland Stand 12/11, abgerufen am 4. April 2014 (via WayBack)
- ↑ sueddeutsche.de: Atom - Lingen (Ems): Bürgerinitiativen kritisieren "Ostexpansion" vom 8. Dezember 2022
- ↑ NDR: Lingen: Es brannte doch im nuklearen Bereich vom 10. Dezember 2018 (via WayBack)