Reaktoren außer Betrieb > Brunsbüttel (Schleswig-Holstein)
Siedewasserreaktor • Leistung: 806 MW • Typ: BWR-69 • Hersteller: AEG/KWU •
Baubeginn: 15. April 1970 • Inbetriebnahme: 23. Juni 1976 •
Abschaltung: 6. August 2011 •[1][2] Beginn Rückbau: 2018 • Ende Rückbau: 2033
35 Jahre Betrieb
AKW Brunsbüttel 2010
Das Atomkraftwerk Brunsbüttel (KKB) befindet sich drei Kilometer östlich der gleichnamigen schleswig-holsteinischen Stadt und nordwestlich von Hamburg an der Elbemündung.[3]
Der Siedewasserreaktor mit 806 MW Leistung wurde am 23. Juni 1976 in Betrieb genommen und ging am 6. August 2011 außer Betrieb. Hersteller waren AEG und Kraftwerk Union (KWU).[2] Eigentümer sind mit 66,7 % Anteil die Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH und mit 33,3 % der E.ON-Tochter PreussenElektra GmbH.[3] Betreiber ist die Kernkraftwerk Brunsbüttel GmbH & Co. oHG.[1]
Der Reaktor war für Vattenfall ausgesprochen unwirtschaftlich, da er nur zu 57,6 % seiner Betriebszeit Strom lieferte.[4]
Zur Anlage gehört ein Zwischenlager, dem aber 2015 die Betriebserlaubnis entzogen wurde.
Vattenfall hatte ab Ende Mai 2012 eine Klage bei einem Schiedsgericht in Washington gegen die Abschaltung von Brunsbüttel und Krümmel laufen, weil sich der Konzern Schadenersatz erhoffte.[5]
Wasserstoffexplosionen und radioaktive Dämpfe
Am 18. Juni 1978 traten zwei Tonnen radioaktiven Dampfes aufgrund eines Lecks im Frischdampfsystem ins Freie aus. Der Vorfall dauerte mehr als zwei Stunden.[6] Die Sicherheitsmannschaft hatte mit Manipulationen die automatische Notabschaltung außer Kraft gesetzt, um dem Betreiber Millionenverluste zu ersparen. Vattenfall vertuschte den Vorfall tagelang, bis ein anonymer Anrufer die Öffentlichkeit informierte. Die Anlage stand nach dem Vorfall mehr als zwei Jahre still. [7][8][9]
Am 25. August 1992 wurden Risse an Schweißnähten in austenitischen Rohrleitungen entdeckt; das AKW stand zur Ursachenklärung und Schadenbehebung 1.025 Tage still.[10]
In den frühen 1990er Jahren gab es eine erste Wasserstoffexplosion, wie erst 2002 entdeckt wurde.[11] Am 17. September 1999 wurde aufgrund einer weiteren Wasserstoffexplosion eine vier Zentimeter dicke Leitung zerbrochen, und es entwichen sechs Tonnen radioaktiver Dampf.[12]
Am 14. Dezember 2001 ereignete sich eine weitere Wasserstoffexplosion, bei der eine Kühlleitung zerstört und Reaktordruck- und Sicherheitsbehälter gefährdet wurden.[6] Da der Betreiber den Vorfall erst drei Tage später meldete, "äußert[e] das Bundesumweltministerium "Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betreibers" – eine Drohung mit dem Entzug der Betriebserlaubnis."[9] Die Sicherheitsmannschaft weigerte sich, den Reaktor für eine Inspektion herunterzufahren und spielte den Schaden zwei Monate lang herunter.[6] Vattenfall blieb bei seiner Verschleierungstaktik und setzte, um die Bevölkerung zu beruhigen, eine "Expertenkommission" ein, die sich aus lauter Atomkraftbefürwortern zusammensetzte. Die Atomaufsicht von Schleswig-Holstein erstellte zwar eine detaillierte Liste mit mehreren Hunderten von Mängeln, die aber aufgrund juristischen Widerstands von Vattenfall nicht veröffentlicht werden durfte. Auch der Deutschen Umwelthilfe wurde das Gutachten nicht ausgehändigt.[13]
Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW warf Vattenfall vor, auf die Wasserstoffexplosionen in den AKW Brunsbüttel und Krümmel (Schleswig-Holstein), nicht ausreichend mit Nachrüstungs- und Sicherheitsmaßnahmen reagiert zu haben, und der Landesregierung Schleswig-Holstein, das Parlament belogen zu haben. Konzern und Landesregierung wiesen die Vorwürfe zurück.[12]
Im Juli 2002 kam es bei einem Test zu Defekten in der Steuerung der Notstromversorgung, was bei einem Unfall die Sicherheitssysteme hätte behindern können. Außerdem wurden Fehler im Nachkühlsystem entdeckt. Im August 2004 gingen Turbinen und der Reaktor per Schnellabschaltung vom Netz. Die Ursache war ein Kurzschluss in alten Kabeln und Isolierungen.[14]
Am 28. Juni 2007 wurde das AKW wegen eines Stromnetzdefekts, der einen Schwelbrand an der Turbine verursachte, automatisch abgeschaltet.[15] Wegen dieser Panne und fehlerhafter Dübel und Verankerungen wurde der Reaktor im gleichen Monat vorläufig[14] und wegen des Atomausstiegsbeschlusses der Bundesregierung am 6. August 2011 endgültig vom Netz genommen.[1]
→ Spiegel Online: Chronik: Die Pannenserie des AKW-Betreibers Vattenfall vom 12. Juli 2007
→ Spiegel Online: Mängelliste AKW Brunsbüttel - Vattenfalls dunkles Geheimnis vom 17. Juli 2007
Rückbau eingeleitet
Wie bei Krümmel weigerte sich Vattenfall im März 2012 auch im Falle des AKW Brunsbüttel zunächst, ein Konzept für den Rückbau bekannt zu geben. "Derweil wird unter Kernkraftgegnern spekuliert, ob Vattenfall womöglich nur auf Zeit spielt und die eigentlich zur Ausmusterung anstehenden Reaktoren doch so lange wie möglich in einem betriebsbereiten Zustand halten möchte."[16] Im Juni 2012 stellte Vattenfall zwei Konzepte für den sofortigen Rückbau und den sicheren Einschluss von Brunsbüttel vor, traf aber noch keine Entscheidung.[17]
Wegen der Verschleppung des Rückbaus der AKW Krümmel und Brunsbüttel wollte die schleswig-holsteinische Landesregierung im Oktober 2012 eine Bundesratsinitiative mit dem Ziel starten, dass Rückbaugenehmigungen sofort nach der Stilllegung beantragt werden müssen.[18] Die Initiative Schleswig-Holsteins zeigte Wirkung: Am 1. November wurde bekannt, dass Vattenfall den direkten Rückbau des AKW Brunsbüttel einleitete.[19] → schleswig-holstein.de: Antrag auf Stilllegung und Abbau KKB vom 1. November 2012 (via WayBack)
Noch im November 2012 wurden die Brennstäbe aus dem Abklingbecken in das Zwischenlager neben dem AKW gebracht. Die Brennelemente aus dem Reaktor sollten bis 2015 ebenfalls dorthin transportiert werden.[20]
Vattenfall hat für den Rückbau Rückstellungen in Höhe von 1,6 Mrd. Euro gebildet.[21] Das AKW besitzt nach Angaben des Umweltministeriums 300.000 Tonnen Masse, wovon 90 % als unbelasteter Bauschutt und 20.000 bis 30.000 Tonnen als schwach radioaktive Abfälle gelten. Hochradioaktiver Abfall sind die Brennelemente und stark kontaminierte Materialien.[22]
Am 21. Dezember 2018 erteilte die Landesregierung in Kiel die Genehmigung zum Rückbau.[23] Nachdem im Februar 2018 bereits die letzten Brennelemente entfernt wurden, sollten zunächst die Anlagenteile im Inneren zerlegt werden. Der Abriss des Gebäudes soll ab 2034 erfolgen.[24]
Verrostete Fässer in verstrahlten Kavernen
Vattenfall lagerte in unterirdischen Betonkavernen am Standort Hunderte von Fässern mit Atommüll, die man sich selbst überlassen hat. Im Dezember 2011 wurde entdeckt, dass mehrere Fässer verrostet waren. Laut Kieler Atomaufsicht gab es dort "eine Strahlenbelastung von bis zu 500 Millisievert je Stunde - das ist das 25-fache der gesetzlich zugelassenen Jahresdosis für Mitarbeiter in Kernkraftwerken." Die radioaktiv verstrahlten Kavernen konnten nicht betreten werden.[25]
AKW Brunsbüttel will Rostfässer sicher umpacken
dpa, veröffentlicht auf YouTube am 20. Mai 2014
Am 8. Januar 2014 begann Vattenfall mit der Untersuchung der Lagerkavernen. Dazu wurde eine für diesen Zweck entwickelte Minikamera verwendet, die horizontal und vertikal um 360 Grad gedreht werden konnte. Im Februar 2014 wurden laut "NDR" weitere verrostete Fässer entdeckt.[26]
Vattenfall plante, die Fässer mit Hilfe von darüber gezogenen Kunststoffsäcken zu verpacken und in Container mit 16 cm dicken Stahlwänden, die sich zur Endlagerung eignen, aufzubewahren.[27]
Im August 2014 wurden zehn weitere Fässer gefunden, die so verrostet waren, dass "Verdampferkonzentrat aus der Behandlung von radioaktiv kontaminiertem Wasser" ausgetreten war.[28] Nach einem Bericht vom 25. September 2014 waren von 251 untersuchten Atommüllfässern 51 stark beschädigt.[29]
Die Bergung der Fässer, mit der 2016 begonnen worden war, wurde im Januar 2019 abgeschlossen. Sie sollen in oberirdischen Lagern des AKW deponiert werden, bis das Endlager Schacht Konrad fertiggestellt ist.[30]
Fernsehbeiträge
- Angriffsziel Atomkraftwerk
Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat "die Genehmigung für das Brennelement-Zwischenlager Brunsbüttel für rechtswidrig erklärt. Das Lager gewähre keinen ausreichenden Schutz gegen Terrorangriffe. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig, aber die Analyse der Richter könnte weitreichende Folgen haben (...)"[31]
→ Landesregierung Schleswig-Holstein: OVG Schleswig hebt die Genehmigung für das Zwischenlager Brunsbüttel auf vom 20. Juni 2013 (via WayBack)
- Der Störfall - Was geschah wirklich in den AKWs von Vattenfall
28. Juni 2007: Der "Brand im Maschinentransformator AT 01 des AKW Krümmel und der Kurzschluss in einer Schaltanlage des AKW Brunsbüttel hatten viel mehr Konsequenzen als nur die Schnellabschaltung beider Atommeiler (...) Vertrauliche Protokolle und Dokumente über den Umgang mit den beiden "Störfällen" in Wirtschaft und Politik zeigen, was seit jenem Nachmittag geschah." Quelle: YouTube
(Letzte Änderung: 06.01.2022)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 IAEO: PRIS - Country Statistics/Germany abgerufen am 6. Januar 2022
- ↑ 2,0 2,1 IAEO: LES CENTRALES NUCLEAIRES DANS LE MONDE von 1997
- ↑ 3,0 3,1 Vattenfall: Kernkratwerk Brunsbüttel abgerufen am 6. Januar 2022
- ↑ Tagesspiegel: Juristisches Tauziehen: Akw-Brunsbüttel: Alter Betrieb vom 21. Dezember 2010
- ↑ taz.de: Entschädigungen für Atomausstieg - Geheimsache Vattenfall vom 27. Juni 2012
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013. S. 335.
- ↑ DER SPIEGEL 50/1988: Wir haben sagenhaftes Glück gehabt vom 11. Dezember 1988
- ↑ Robin Wood: Atomenergie ist nicht sicher! abgerufen am 30. Januar 2014 (via WayBack)
- ↑ 9,0 9,1 Mitteldeutsche Zeitung: Verspätete Meldungen von Störfällen in deutschen AKW vom 4. Juli 2007 (via WayBack)
- ↑ GRS: Zur Sicherheit des Betriebs der Kernkraftwerke in Deutschland vom Januar 2003 (S. 20)
- ↑ Spiegel Online: AKW Brunsbüttel: Explosion kommt nach zehn Jahren ans Licht vom 5. August 2002
- ↑ 12,0 12,1 Spiegel Online: AKW Brunsbüttel und Krümmel: Serie von Wasserstoff-Explosionen enthüllt vom 23. Juli 2007
- ↑ Sascha Adamek: Die Atomlüge. Heyne, München 2011, S. 67-69.
- ↑ 14,0 14,1 Focus Online: Hintergrund: Störfälle in deutschen AKW vom 15. November 2013
- ↑ Sascha Adamek: Die Atomlüge. Heyne, München 2011, S. 69.
- ↑ Der Tagesspiegel: Vattenfall in Schleswig-Holstein: Atomkonzern in der Kritik vom 31. März 2012
- ↑ shz.de: Stilllegung: 20 Jahre für den Rückbau vom 14. Juni 2012
- ↑ Welt Online: Kiel will schnelleren Rückbau stillgelegter AKW erzwingen vom 21. Oktober 2012
- ↑ n-tv: AKW Brunsbüttel wird abgerissen vom 1. November 2012
- ↑ shz.de: Brunsbüttel Kernkraftwerk wird ab 2015 abgerissen vom 23. November 2012
- ↑ Welt Online: Brunsbüttel wird erst in Jahren zur grüne Wiese vom 30. Oktober 2013
- ↑ NDR: AKW Brunsbüttel: Betreiber nennt Rückbau-Details vom 22. August 2017 (via WayBack)
- ↑ NDR: Rückbau des AKW Brunsbüttel kann beginnen vom 21. Dezember 2018 (via WayBack)
- ↑ NDR: AKW Brunsbüttel: So funktioniert der Rückbau vom 21. Dezember 2018 (via WayBack)
- ↑ Welt Online: Lager mit rostenden Atomfässern versiegelt vom 9. März 2012
- ↑ NDR: AKW-Müll: Mehr rostige Fässer in Brunsbüttel vom 11. Februar 2014 (via WayBack)
- ↑ hna.de: Mehr Rost als Fass - 20.000 korrosionsbedrohte Atommülltonnen in allen AKW vom 23. Februar 2014
- ↑ NDR: Brunsbüttel: Noch mehr rostige Atommüllfässer vom 20. August 2014 [Seite nicht mehr verfügbar]
- ↑ n-tv.de: "Übertrifft unsere Befürchtungen" - Kamera entdeckt offenen Atommüll vom 25. September 2014
- ↑ Kieler Nachrichten: Bergung von Atommüllfässer abgeschlossen vom 17. Januar 2019
- ↑ zdf.de Angriffsziel Atomkraftwerk vom 11. März 2014 (via WayBack)