Atomenergie in Europa > Großbritannien
Reaktoren in Betrieb: 9 • im Bau: 2 • stillgelegt: 36 [1]
Reaktoren seit den 1950er Jahren
Atomkraft hat in Großbritannien, einem Gründungsmitglied der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) 1957,[2] eine lange Tradition.
Erste Reaktoren sind bereits in den 1950er Jahren ans Netz gegangen. Eine besondere Vorliebe bestand für gasgekühlte Reaktoren, von denen viele bereits abgeschaltet wurden. Der Rest macht aber heute noch das Gros des Kraftwerkparks aus.[3]
Großbritannien war auch schon früh in die Brütertechnologie eingestiegen, die jedoch 1956 zu einer Explosion in → Dounreay führte. 1981 wurde der geplante Schnelle Brüter Commercial Demonstration Fast Reactor (CDFR) aufgegeben, der 1.320 MW Leistung besitzen und mit Mischoxiden (MOX) betrieben werden sollte.[4][5] Mehrere geplante dampferzeugende Schwerwasserreaktoren wurden ebenfalls verworfen. → SGHWR
In den 1980er Jahren war der britische Kraftwerkbestand völlig überaltert. Die damalige Premierministerin Thatcher setzte jedoch weiter auf Atomkraft. Sie war der Meinung, Großbritanniens wirtschaftlicher Abstieg sei auf eine Vernachlässigung der Atomenergie zurückzuführen und plante massive Investitionen. Risiken sah sie bei den Altreaktoren nicht: "In puncto Sicherheit, so Frau Thatcher, seien Britanniens Atomanlagen "second to none"."[6] Eine von ihr angestrebte Privatisierung aller Atomkraftwerke scheiterte, weil kein Unternehmen die maroden Atomanlagen kaufen wollte. "Die 34 zum Verkauf stehenden Kernreaktoren, ließ National-Power-Manager Baker mitteilen, seien - so der Kern der blumenreich verschlüsselten Botschaft - ein einziger Schrotthaufen."[7]
Keine Kursänderung nach Fukushima
Mit der Übernahme der British Energy durch die EDF Energy am 3. Februar 2009 wurde die französische Électricité de France (EDF) in Großbritannien zu einem der größten europäischen Energieunternehmen und Eigentümer aller aktiven britischen Atomkraftwerke.[8]
Ab 2009 wurden für einen Neubau von Reaktoren wurden folgende Standorte ausgewählt: Hinkley Point, Oldbury, Sellafield, Sizewell, Wylfa, Bradwell, Hartlepool und Heysham.[9]
David Cameron kündigte wenige Tage nach dem Fukushima-GAU im Jahr 2011 an, eine Atom-Renaissance einleiten zu wollen.[10] Kritische Stimmen worden von der Londoner Regierung unterdrückt. Die britische Tageszeitung "Guardian" entdeckte interne E-Mails britischer Regierungsmitarbeiter, die zwei Tage nach Fukushima in Kontakt mit britischen Energiekonzernen traten, mit denen sie eine gemeinsame PR-Strategie für Atomkraft entwickelten. Der GAU sollte heruntergespielt werden, um Widerstände gegen eigene Reaktorneubauten zu verhindern.[11]
Im Strategiepapier der Regierung "The UK’s Nuclear Future" von 2013 wurden 12 neue Einheiten mit einer Gesamtleistung von 16 GW angekündigt, die bis 2030 für die Standorten Hinkley Point, Sizewell, Wylfa, Oldbury und Moorside bereitgestellt werden sollen.[12]
Als einzige neue Einheiten gingen jedoch nur Hinkley Point C-1 und C-2 in den Jahren 2018/2019 in Bau, die 7 % des britischen Energiebedarfs ab 2023 decken sollen. Das Projekt leidet unter massiven Verzögerungen und Kostenexplosionen und muss durch Milliardensubventionen finanziert werden: Detaillierte Informationen unter Hinkley Point (Großbritannien) - Ausbaupläne mit Bürgschaften und Preisgarantien
Weitere Projekte sind vorerst gescheitert: 2018 wurden geplante Reaktoren am Standort Moorside aufgegeben. Im Januar 2019 teilte der japanische Konzern Hitachi mit, die Neubauprojekte in Wylfa und Oldbury wegen ungeklärter Finanzierungsfragen einzustellen.[13]
Für den Bau von Sizewell-C unterzeichnete die britische Regierung mit EDF Ende November 2022 einen Vertrag.
8 Altreaktoren
Momentan sind im Vereinigten Königreich noch 9 Einheiten an vier Standorten in Betrieb, acht davon gasgekühlte AGR-Reaktoren.[1] In den 2020er Jahren sollen die meisten derzeit aktiven Reaktoren stillgelegt werden.[14]
Standorte mit aktiven Reaktoren: Stillgelegte Standorte: |
Bemerkenswert ist, dass Großbritannien laut IAEO nur noch einen aktiven Forschungsreaktor mit der Bezeichnung Neptune und einer Leistung von 0,100 KW aus dem Jahr 1963 besitzt, daneben aber eine große Zahl abgeschalteter oder stillgelegter Forschungsreaktoren.[15]
1983 bis 2023 betrieb das Land eine Anlage zur Erforschung der Kernfusion. → Joint European Torus (JET)
Sellafield und Dounreay
Auf britischem Boden, in der mittlerweile geschlossenen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield, befindet sich das größte Plutoniumlager der Welt. 1956 hatte sich auf diesem Gelände der Reaktorbrand von Windscale ereignet. Mittlerweile ist ein Tranformationsprogramm zur Dekontaminierung und Verringerung der Gefährdungslage eingeleitet worden. In der Nähe von Sellafield befindet sich außerdem das Lager Drigg, in dem eine Million Tonnen Atommüll gelagert werden. Die britische Umweltbehörde geht davon aus, dass das Lager im Meer versinken und die Westküste Großbritanniens radioaktiv verseuchen wird. → Sellafield (ehemals Windscale)
Das ebenfalls in Stilllegung befindliche Atomzentrum Dounreay an der Nordspitze Schottlands hinterließ laut der schottischen Umweltbehörde eine irreparabel radioaktiv verseuchte Küstenregion und verursachte einen Anstieg der Leukämieerkrankungen bei Kindern. → Dounreay
Die Kosten für die Sanierung der verseuchten britischen Standorte wurden im September 2014 auf 69 Mrd. britische Pfund geschätzt.[16]
Neues Standbein Windenergie
Großbritannien setzt seit vielen Jahren verstärkt auf Windenergie, möchte zur führenden Offshore-Nation werden.[17]
Am 4. Juli 2013 eröffnete Premierminister Cameron den größten Windpark der Welt vor der Küste Südostenglands. Am Bau der 175 Turbinen umfassenden und 2,3 Mrd. Dollar teuren Anlage "London Array" waren auch E.ON und Siemens beteiligt. Die Anlage hat 630 MW Leistung und kann eine halbe Million Haushalte mit Strom versorgen. "Bis 2020 plant die Regierung in London mit insgesamt 18 Gigawatt derart installierter Leistung. Windparks mit insgesamt 3,3 Gigawatt sind bereits in Betrieb."[18]
2019 hatte Großbritannien eine installierte Leistung an Windenergie von 23.515 MW und installierte im gleichen Jahr Anlagen mit einer Leistung von 2.393 MW-[19]
Schottland: Atomausstieg geplant
Schottland kündigte im März 2012 an, keine neuen AKW auf schottischem Boden mehr bauen lassen und längerfristig aus der Atomkraft aussteigen zu wollen.[20]
Als erstes AKW sollte 2016 Hunterston B mit zwei Reaktoren vom Netz gehen. Der Atomausstieg sollte bis 2020 vollzogen und die Energieversorgung zu 100 % durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Ein Hauptgrund für den Atomausstieg ist, dass es keine Lösung für die Lagerung von Atommüll gibt, ein weiterer, dass dezentrale Strukturen bei der Stromerzeugung aufgebaut werden sollen.[21] Hunterston B-1 und B-2 wurden in den Jahren 2021 und 2022 endgültig abgeschaltet.
Militärische Nutzung der Atomkraft
Großbritannien begann 1940 mit der Entwicklung von Atomwaffen und führte 1952 den ersten erfolgreichen Atomwaffentest durch.[22] Schätzungen zufolge verfügt das Land über einen Bestand von 225 nuklearen Sprengköpfen (Stand: März 2024).[23]
Das für das britische Atomwaffenprogramm benötigte Plutonium wurde von den zwei → Windscale Piles mit ihren beiden luftgekühlten Reaktoren produziert, aber auch von den Atomkraftwerken → Calder Hall und → Chapelcross , die darüber hinaus zur kommerziellen Stromerzeugung dienten.[24] In Calder Hall und Chapelcross wurde darüber hinaus Tritium für Wasserstoffbomben produziert.
(Letzte Änderung: 02.04.2024)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 IAEA: PRIS - CountryStatistics/United Kingdom abgerufen am 7. August 2022
- ↑ IAEO: Member States abgerufen am 16. September 2021
- ↑ IAEO: Country Nuclear Power Profiles/United Kingdom abgerufen am 16. September 2021
- ↑ IAEO PRIS: CDFR abgerufen am 4. Juni 2011
- ↑ books.google.de: Fast Breeder Reactors von 1981
- ↑ DER SPIEGEL 16/1987: Sich selbst in die Luft gesprengt vom 12. April 1987
- ↑ DER SPIEGEL 2/1990: Unsanfte Landung vom 7. Januar 1990
- ↑ British Energy: British Energy, part of EDF Energy abgerufen am 17. Juli 2014 (via WayBack)
- ↑ WNA: Nuclear Power in the United Kingdom abgerufen am 1. März 2024
- ↑ Spiegel Online: Tories träumen von der Atom-Renaissance vom 20. März 2011
- ↑ Spiegel Online: Kampf den Atom-Kritikern vom 1. Juli 2011
- ↑ gov.uk: Nuclear industrial strategy: UK’s Nuclear Future von 2013 (S.7f., 33f.)
- ↑ nuklearforum.ch: Hitachi legt Baupläne in Grossbritannien auf Eis vom 22. Januar 2019
- ↑ heise online: AKW-Bau nur mit Staatsknete vom 1. Juli 2013
- ↑ IAEO: Research Reactors/Countries: United Kingdom abgerufen am 16. September 2021
- ↑ Independent: Nuclear waste workers at Dounreay power station fear for their safety vom 15. März 2015
- ↑ Focus Online: Megaprojekt vor Englands Küste - In der Nordsee entsteht der größte Offshore-Windpark der Welt vom 19. November 2013
- ↑ Spiegel Online: Offshore-Energie: Großbritannien eröffnet größten Windpark der Welt vom 4. Juli 2013
- ↑ BWE: Windenergie in Europa abgerufen am 16. September 2021
- ↑ nuklearforum.ch: Zukünftige schottische Stromerzeugung: anspruchsvolle Ziele vom 19. März 2012
- ↑ Badische Zeitung: Die Schotten wollen nur noch Ökostrom vom 11. August 2014
- ↑ NTI: United Kingdom Nuclear Overview abgerufen am 28. Februar 2024
- ↑ FAS: Status of World Nuclear Forces abgerufen am 2. April 2024
- ↑ theguardian: First nuclear power plant to close vom 21. März 2003