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Atomenergie in Europa > Schweiz > Lucens, Schweiz 1969
Weitere Atomunfälle und Störfälle > Lucens, Schweiz 1969

Gasgekühlter, schwerwassermoderierter Reaktor • Leistung: 7 MW • Typ: HWGCR: 2-loops •
Baubeginn: 1. April 1962 • Inbetriebnahme: 29. Dezember 1966 •
Betriebsende nach partieller Kernschmelze und Explosion: 21. Januar 1969 •[1] INES-Stufe 5 (Ernster Unfall)[2]


Unterirdische Atomkraftwerke

Château de Lucens et le bourg

Lucens in der französischen Schweiz)

Seit Beginn der Atomkraftära war immer wieder international die Möglichkeit diskutiert worden, Atomkraftwerke unterirdisch zu errichten, um eine höhere Sicherheit vor Strahlung an der Oberfläche zu gewährleisten. Dem wurde entgegengehalten, dass bei Atomunfällen eine radioaktive Verseuchung des Grundwassers drohe.[3]

Mit dem Bau des Stollens in einer Felskaverne für den Versuchsreaktor Lucens, einer Schweizer Eigenentwicklung, wurde 1962 begonnen; beteiligt waren u. a. die Unternehmen Sulzer und Brown Bovery (BBC).[4] Ein weiteres unterirdisches AKW war übrigens Block A von Chooz (Frankreich).

Der Reaktor trug die Bezeichnung "Versuchsatomkraftwerk Lucens (VAKL)"[5] Eigentümer war die Nationale Gesellschaft zur Förderung der industriellen Atomtechnik, Betreiber die Energie de l'Ouest Suisse.[1] 1966 wurde der Reaktor kritisch, 1968 wurde zum ersten Mal Strom ins Netz eingespeist.[6]

Explosion nach Wiederhochfahren

Das Hochfahren des Reaktors am 21. Januar 1969 begann mit einem Schock: Alarme und 38 Fehler-Signale wurden ausgelöst.[6]

Was war geschehen?[7] Während einer Abschaltungsphase lief externes Wasser über eine defekte Gebläse-Dichtung in den Kühlkreis des Reaktors. Einige aus Magnesium bestehenden Brennstab-Umhüllungsrohre korrodierten. Als der Reaktor im Januar 1969 wieder in Betrieb genommen wurde, behinderten die Korrosionsprodukte die Kühlung. Ein Brennelement überhitzte und der zentrale Brennstab darin schmolz. Das Brennelement geriet in Brand und brachte den Moderatortank zum Bersten. Kohlendioxid (Kühlmittel) und schweres Wasser (Moderator) traten in die Reaktorkaverne aus. Infolge der Explosion des Moderatortanks wurden größere Mengen radioaktiver Stoffe in die Kaverne freigesetzt. Glücklicherweise konnte der Versuchsreaktor rechtzeitig evakuiert werden. Die Kaverne mit radioaktivem Material wurde zunächst versiegelt und nach drei Tagen wurde sie gezielt in die Umgebung entlüftet. Die Aufräumarbeiten begannen erst Jahre später und dauerten bis 1973. Dabei wurden die Trümmer erst in versiegelten Behältern auf dem Gelände zwischengelagert und 2003 ins zentrale Zwischenlager in Würenlingen (ZWILAG) überführt.[5]

Radioaktive Stoffe in Entwässerungsanlagen

Obwohl die Anlage so gut wie möglich dekontaminiert wurde, enthält die Umgebung bis heute radioaktive Substanzen. "Gemäss seinem Auftrag führt das BAG in den Entwässerungsanlagen (...) seit 1995 regelmässig Messungen durch (...). Gemessen werden Cäsium 137Cs und 134Cs, sowie das Cobaltisotop 60Co, Tritium-3H und Strontium 90. Zwischen 2001 und 2010 wurde in den Wasserproben durchschnittlich eine Tritiumkonzentration von 15 Bq/L gemessen." Seite Ende 2011 wurde eine deutlich erhöhte Tritiumkonzentration von bis zu 230 Bq/L festgestellt, die aber noch unter dem Grenzwert der Strahlenschutzverordnung von 12‘000 Bq/L liegt.[8]

Hinzuzufügen bleibt, dass die Schweiz, nachdem die Eigenentwicklung in Lucens zubetoniert und stillgelegt worden war, auch ihre Pläne für Atomkraftwerke "Made in Switzerland" begrub.[6] Die "Neue Zürcher Zeitung" diskutierte am 6. Juli 1969 die Frage, ob es sich bei dem mit Natururan betriebenen Schwerwasserreaktor nicht doch um eine "kolossale Fehlinvestition" gehandelt habe. Das ursprüngliche Budget für die Baukosten von 59,5 Mio. Franken verdoppelte sich 1966 fast auf 100 Mio. Franken. Obwohl schon 1965 Zweifel an der Zweckmäßigkeit des Versuchsatomkraftwerks geäußert worden waren, wurde es doch fertiggebaut.[9]

Fernsehbeitrag

  • Kernschmelze in der Schweiz: Der eigene Atomreaktor Lucens 1969
    Von der Planung, bis zur Kernschmelze und die Situation heute.
Kernschmelze_in_der_Schweiz_Der_eigene_Atomreaktor_Lucens_1969

Kernschmelze in der Schweiz Der eigene Atomreaktor Lucens 1969

3sat, hochgeladen am 13. Juni 2013 auf YouTube

Weitere Links:

→ ENSI: Versuchsatomkraftwerk Lucens
→ Welt Online: Als die Schweiz knapp einem Super-GAU entging vom Januar 2019
→ SRF: Vor 45 Jahren: Der schlimmste Atomunfall der Schweiz vom 21. Januar 2014, mit Videos
→ NZZ: Der vergessene Atomunfall von Lucens vom 6. Januar 2014
→ Berliner Zeitung: Der vergessene Schweizer GAU vom 19. März 2011
→ AtomkraftwerkePlag: Schweiz


(Letzte Änderung: 20.01.2022)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 IAEO PRIS: Switzerland abgerufen am 23. August 2021
  2. www-pub.iaea.org: Challenges for Removal of Damaged Fuel and Debris vom 1. Februar 2013
  3. Joachim Radkau & Lothar Hahn: Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft. oekom, München 2013, S. 272.
  4. tagesanzeiger.ch: Als es im Schweizer AKW zur Kernschmelze kam vom 18. Januar 2014
  5. 5,0 5,1 TagesAnzeiger: ... 41 Jahren: Kernschmelze in Schweizer Reaktor vom 21. Januar 2010 (via WayBack)
  6. 6,0 6,1 6,2 Berner Zeitung Der vergessene Schweizer GAU vom 15. Januar 2011
  7. J. Wolters (FZ Jülich): Aufgetretene Unfälle mit Kernschäden, in Atomwirtschaft, Juni 1987, sowie der hier oben verlinkte ENSI-Beitrag
  8. Schweizerische Eidgenossenschaft Ehemalige Reaktorversuchsanlage Lucens: Tritiumwert in Entwässerungsanlage erhöht vom 4. April 2012
  9. NZZ: Die Stunde der Wahrheit in Lucens vom 6. Juli 1969
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