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GAU in Deutschland: Was wäre, wenn ...? > Notfallpläne und Katastrophenschutz

Das Prinzip Hoffnung regiert

Aus den vielen Quellen in den Medien, von der Bundesregierung und anderen Kommissionen und Institutionen, die wir zu diesem Thema gesammelt haben, lässt sich nur ein Schluss ziehen: Im Falle eines GAUs wären der Katastrophenschutz und alle Verantwortlichen genauso hilflos wie in Fukushima und Tschernobyl. Dies liegt vor allem daran, dass in allen Planungen von falschen Voraussetzungen ausgegangen wurde: Schwere oder katastrophale Atomunfälle in Deutschland wurden niemals für möglich gehalten.

Auch beruhten alle Planungen auf einer kurzzeitigen Freisetzung radioaktiver Substanzen mit langer Vorwarnzeit, nicht aber einer schnellen Freisetzung über einen langen Zeitraum wie in Fukushima. Darauf wies die Schutzkommission des Bundesinnenministeriums 2014 hin.[1]

Zwar strebt man eine mittelfristige Überarbeitung der Planungen und eine Ausweitung der Planungszonen um Atomkraftwerke an. Es bleibt zu fragen, warum dies nicht schon nach Tschernobyl erkannt wurde.

Kritik am Katastrophenschutz

Atomic power plant

AKW Biblis

Von Umweltschutzverbänden und anderen Organisationen wurde seit langen Jahren Kritik an den Notfallplänen und am Katastrophenschutz in Deutschland geübt.

Am Beispiel des AKW Biblis (Hessen) kam der BUND in einer nicht datierten (wegen der darin noch nicht erwähnten Abschaltung von Biblis 2011 wohl älteren) Website zum Schluss, dass die Notfallpläne völlig unzureichend seien. So gingen diese davon aus, dass eine Evakuierung nur im Umkreis von zehn Kilometer nötig sei, eine Kontaminierung nur im Umkreis von 25 Kilometer auftreten könne. Die Gefahrenzonen können sich jedoch über Hunderte von Kilometern erstrecken. Die Jod-Versorgung sei "unsicher und unzureichend". Der BUND äußerte den Verdacht, dass die Betreiber "auf Kosten der Gesundheitsvorsorge für die Bevölkerung" entlastet werden sollen.[2] → RWE: Notfallschutz für die Umgebung des Kernkraftwerks Biblis vom März 2008

Das Umweltinstitut München e.V. hob 2000 zwar als positive Ansätze die nach der Tschernobyl-Katastrophe eingeführten Regelungen hervor (Strahlenschutzvorsorgegesetz, EG-Verordnungen, radiologische Grundlagen und Rahmenempfehlungen), kritisierte aber die Notfallplanung. "Alle Planungen gehen von der Annahme aus, dass zwischen Störfallbeginn und Kernschmelze mehrere Tage vergehen. Nach neueren Erkenntnissen bleiben vermutlich aber nur zwei bis vier Stunden bis zur Kernschmelze. Ein solcher Zeitrahmen lässt eine Evakuierung der Bevölkerung überhaupt nicht mehr zu." Außerdem seien die Reaktionen der Bevölkerung unvorhersehbar.[3]

2012 stellten Atomkraftgegner fest, dass sich die Notfallschutzpläne trotz der Tschernobyl- und Fukushima-Katastrophen immer noch nicht verbessert hätten. Die Pläne sähen weiterhin nur eine Evakuierung im Umkreis von 10 Kilometer vom Unfall vor, was völlig unzureichend sei. Kernschmelzen und Kontaminierung würden sich nicht zwangsweise erst nach mehreren Tagen entwickeln, wie in den Plänen stehe, sondern schon binnen weniger Stunden. Atomkraftgegner wiesen auf weitere Mängel in den Plänen hin, u. a. dass es keine Atomschutzmasken für die Bevölkerung gebe und "nur eine Notfallstation zur Dekontamination vorgesehen" sei, "in der die fliehenden Menschen radioaktive Staubteilchen abduschen können und untersucht werden". Atomkraftgegner und das Bundesamt für Strahlenschutz forderten eine Prüfung und Überarbeitung der Pläne.[4]

Im Mai 2013 warf die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW den Innenministern in einer Pressemitteilung vor, dass diese Verbesserungen beim Katastrophenschutz versäumt hätten. Sie forderte die Planung und Vorbereitung weiträumiger Evakuierungen sowie die Sicherstellung "einer weiträumigen schnellen und mehrfachen Ausgabe von Jodtabletten auch für alle Erwachsenen".[5]

Der Sprecher von IPPNW, der Allgemeinmediziner Reinhold Thiel, kritisierte in Vorträgen 2013, der Katastrophenschutz habe nur eine "Alibi-Funktion". Im Katastrophenfall sei keine Hilfe zu erwarten. Der einzig wirksame Schutz sei die Abschaltung aller Atomkraftwerke.[6]

Betreiber-Infos

INES de

INES-Skala

Ab 2008 veröffentlichten die Betreiber von Atomkraftwerken entsprechend § 53 Abs. 5 der Strahlenschutzverordnung[7] Ratgeber, um ihrer Informationspflicht gegenüber der Öffentlichkeit nachzukommen. Diese Ratgeber sind alle nach dem gleichen Muster aufgebaut.

Zunächst werden die Leser darauf hingewiesen, dass die deutschen Atomkraftwerke äußerst zuverlässig und sicher seien und sich größere Unfälle deshalb eigentlich gar nicht ereignen könnten.

Für den (undenkbaren) Fall der Fälle werden in den Ratgebern folgende Standardinformationen gegeben:

  • Pfade der Strahlenbelastung: Einatmen der radioaktiven Stoffe (Inhalation), Strahlung aus der vorüberziehenden Wolke, Strahlung von am Boden abgelagerten Stoffen, Aufnahme radioaktiver Stoffe mit der Nahrung (Ingestion)
  • Geplante Schutzmaßnahmen (Zentralzone von 2 km, Mittelzone von 10 km, Außenzone von 25 km, Fernzone von 100 km)
  • Hinweis, auf Durchsagen im Rundfunk zu achten
  • Aufenthalt in geschlossenen Gebäuden
  • Einnahme von Jodtabletten
  • Verhaltensmaßregeln bei Evakuierung, falls angeordnet
  • Je nach Region spezifische Evakuierungspläne, Sammelstellen und Aufnahmebereiche


Nachfolgend sind Ratgeber für die noch in Betrieb befindlichen, kommerziellen AKW, Grafenrheinfeld, Phillipsburg II einerseits und einige Forschungsreaktoren andererseits aufgeführt, die sich kaum voneinander unterscheiden. Betreiber von Forschungsreaktoren, wie z. B. des FRM II bei München, weisen darauf hin, dass sich letztere wegen der wesentlich geringeren Leistung grundlegend von kommerziellen Reaktoren unterscheiden und größere Unfälle praktisch ausgeschlossen seien. Der Katastrophenschutzplan sei bei Forschungsreaktoren "pro-aktiv".[8]

Atomreaktoren Betreiber/Eigentümer Betreiberinformationen
Brokdorf (Schleswig-Holstein) E.ON / Eigentümer sind E.ON (80 %) und Vattenfall (20 %) Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Brokdorf vom Juni 2008 (via WayBack)
Emsland (Niedersachsen) Lippe-Ems GmbH / Eigentümer sind E.ON (75 %) und PreussenElektra (25 %) Notfallschutz - An alle Haushalte. Information für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerkes Emsland. abgerufen am 13. Juni 2023
Grafenrheinfeld (Bayern) PreussenElektra Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Grafenrheinfeld vom Juni 2008 (via WayBack)
Grohnde (Niedersachsen) Gemeinschaftskernkraftwerk Grohnde GmbH & Co. oHG. / Eigentümer sind E.ON (83,3 %) und Stadtwerke Bielefeld (16,7 %) Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Grohnde vom Juni 2008 (via WayBack)
Gundremmingen B (Bayern) und C Kernkraft Gundremmingen GmbH / Eigentümer sind RWE (75 %) und E.ON (25 %) Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Gundremmingen vom Juni 2008 (via WayBack)
Isar 2 (Bayern) E.ON / Eigentümer sind E.ON (75 %) und Stadtwerke München (25 %) Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Isar vom Juni 2008 (via WayBack)
Neckarwestheim II (Baden-Württemberg) EnBW Kernkraft GmbH Sicherheit für uns alle - Informationen zum Notfallschutz für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Neckarwestheim letzte Aktualisierung Dezember 2009
Philippsburg II (Baden-Württemberg) EnBW Kernkraft GmbH Sicherheit für uns alle - Informationen zum Notfallschutz für die Bevölkerung in der Umgebung des Kernkraftwerks Philippsburg vom Dezember 2009 (via WayBack)
Ber II (Berlin) Helmholtz-Zentrum Berlin Information für die Umgebung des Forschungsreaktors Ausgabe 2014 (via WayBack)
FRM II (Garching) Technische Universität München Rundherum sicher! Informationen für die Bevölkerung nach § 106 Strahlenschutzverordnung, Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) Standort: TUM-Campus Garching vom April 2022

Anmerkung: Die "Münstersche Zeitung" berichtete im September 2012, dass der Katastrophenschutzplan für das AKW Emsland (Niedersachsen) erst auf Druck der Öffentlichkeit hin im Internet veröffentlicht wurde.[9]

Länder-/Regional-Infos

Die nachfolgende Tabelle listet einzelne Quellen beispielhaft auf:

Bundesland Behörde Informationen
Baden-Württemberg Regierungspräsidium Freiburg NOTFALLSCHUTZ - Ein Ratgeber für die Bevölkerung in der deutschen Umgebung der schweizerischen Kernkraftwerke Beznau und Leibstadt Fassung in 3. Auflage vom Februar 2013 (via WayBack)
Bayern Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr Katastrophenschutz bei kerntechnischen Anlagen vom März 2011 (via WayBack) [lt. Dokumenteigenschaften]
Nordrhein-Westfalen Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen Geltende Erlasse (SMBl. NRW.) abgerufen am 7. Juni 2023
Schleswig-Holstein Kreisverwaltung Pinneberg Behördliche Maßnahmen bei einem kerntechnischen Unfall abgerufen am 1. Juli 2014 (via WayBack); von der Alarmierung bis hin zur Evakuierung und Dekontaminierung.


→ AtomkraftwerkePlag: Atomkraft in Deutschland (Karte)

Weitere Links

Fernseh- und Hörfunkbeiträge

Ein_GAU_auf_Probe

Ein GAU auf Probe

"In einem fiktiven Atomunfall in Fessenheim haben Deutsche und Franzosen am Donnerstag den Ernstfall geprobt." Hochgeladen auf YouTube am 15. November 2013

Tagesschau_20-00_Uhr,_10.03.2014

Tagesschau 20-00 Uhr, 10.03.2014

"Notfallpläne für Atomunfälle"
Min. 8:15 - Min. 10:22


Akw_Fessenheim_Wie_wird_im_Ernstfall_evakuiert?

Akw Fessenheim Wie wird im Ernstfall evakuiert?

"Straßen müssten abgesperrt und ganze Orte geräumt werden. Wie das panikfrei funktionieren soll, erklärt Freiburgs Brandmeister im Video." Planung kontra Realität vom 14. November 2013

AKW_Fessenheim_Freiburg_übt_das_Schreckensszenario

AKW Fessenheim Freiburg übt das Schreckensszenario

Pressereferent des Regierungspräsidiums Freiburg[10] vom 14. November 2013


Katastrophenschutz_am_AKW_Grohnde

Katastrophenschutz am AKW Grohnde

Hochgeladen auf YouTube am 3. Dezember 2011

Krisenstab_übt_für_Störfall_im_AKW_Grohnde

Krisenstab übt für Störfall im AKW Grohnde

Mindener Tageblatt, veröffentlicht auf YouTube am 7. Januar 2013

"Die_Atomlüge"_-_NDR_Doku_-_23.02.2010

"Die Atomlüge" - NDR Doku - 23.02.2010

"Was passiert, wenn was passiert?"
Min. 13:38 - Min. 18:40


(Letzte Änderung: 16.06.2023)

Einzelnachweise

  1. bbk.bund.de: Stellungnahme der Schutzkommission zur Umsetzung der Erfahrungen aus Fukushima für die Planung von Notfallschutzmaßnahmen in Deutschland vom Februar 2014
  2. BUND: Notfallpläne für das AKW Biblis: unzureichend, widersprüchlich, gefährlich abgerufen am 13. Juni 2023 (via WayBack)
  3. Umweltinstitut München e. V.: Katastrophenschutz - Im Ernstfall ohne Hilfe? Ausgabe: 89/2000 (via WayBack)
  4. hallo-hameln-pyrmont.de: Atomkraft-Gegner zeigten sich „entsetzt“ über den Schutzplan vom 10. August 2012 (via WayBack)
  5. IPPNW: Innenminister verbummeln Katastrophenschutz-Verbesserungen vom 23. Mai 2013 (via WayBack)
  6. swp.de: Gundremmingen - Bei AKW-Unfall: „Katastrophenschutz hat nur Alibi-Funktion“ vom 3. Juni 2013 (via WayBack)
  7. Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz § 53 Vorbereitung der Schadensbekämpfung bei sicherheitstechnisch bedeutsamen Ereignissen abgerufen am 27. Juni 2014 (via WayBack)
  8. frm2.tum.de: Häufig gestellte Antworten zur Sicherheit am FRM II abgerufen am 13. Juni 2023
  9. MünsterscheZeitung.de Nach öffentlichem Druck - AKW-Schutzplan im Netz veröffentlicht vom 5. September 2012 (via WayBack)
  10. Regierungspräsidium Freiburg Impressum abgerufen am 22. Februar 2015 (via WayBack)