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Reaktoren außer Betrieb > Obrigheim (Baden-Württemberg)

Druckwasserreaktor • Leistung: 357 MW • Typ: - • Hersteller: Siemens •
Baubeginn: 15. März 1965 • Inbetriebnahme: 22. September 1968 • Abschaltung: 11. Mai 2005 •[1][2]
Beginn Rückbau: 2008 • Ende Rückbau: 2025


Stilllegung nach 37 Jahren Betrieb

Kernkraftwerk Obrigheim 2009

AKW Obrigheim 2009

Der in Baden-Württemberg zwischen Heidelberg und Heilbronn direkt am Neckar liegende[3] stillgelegte Druckwasserreaktor Obrigheim (KWO) mit ehemals 357 MW Leistung gehört zu den ältesten Reaktoren, die in Deutschland betrieben wurden. Hersteller war Siemens.[2]

Nach einer Planungsphase von 1961 bis 1964 und einer Bauzeit von vier Jahren[4] wurde der Reaktor am 22. September 1968 in Betrieb genommen und ging am 11. Mai 2005 außer Betrieb. Eigentümer ist laut IAEO die Kernkraftwerk Obrigheim GmbH, Betreiber die EnBW Kraftwerke AG.[1]

Störfälle und Sicherheitsrisiken

Bei zwei Zwischenfällen (ohne Jahresangabe) wurden radioaktives Xenon und Jod freigesetzt; 1969 kam es zu sechs Stillständen wegen verschiedener Ursachen.[5] Der Reaktor musste mehrmals wegen Störfällen abgeschaltet werden, wie beispielsweise 1972, als ein Entwässerungsbehälter brach und kontaminiertes Wasser freisetzte, wobei die Turbinen verstrahlt wurden.[6] Nach Recherchen der Bundesatomaufsicht von 2002 wurde der Reaktor von 1991 bis 2001 nicht gemäß der Sicherheitsvorschriften betrieben. Ein Störfall wegen eines Kühlmittelverlustes hätte sich deswegen jederzeit ereignen können.[7]

1994 wurde bekannt, dass der baden-württembergische Umweltminister Harald Schäfer jahrelang Sicherheitsmängel am Atomkraftwerk geheimgehalten hatte, um den Betrieb nicht zu gefährden. So wurde beispielsweise die Wand des Reaktordruckbehälters um drei Zentimeter dünner ausgeführt als vorgeschrieben, weswegen die Sprödbruchsicherheit nicht gewährleistet war. Schäfer erteilte, ohne dass neue Materialproben genommen wurden, eine Dauerbetriebsgenehmigung.[8]

Der Reaktor war darüber hinaus wegen seines hohen Alters, der erdbebengefährdeten Lage am Rheingraben sowie des mangelnden Schutzes vor Flugzeugabstürzen und terroristischen Angriffen in die Kritik geraten. Nach dem Atomkonsens der Regierung Schröder mit den Energiekonzernen hätte er eigentlich schon 2002 vom Netz gehen sollen, EnBW hatte jedoch eine fünfjährige Verlängerung beantragt. Schließlich einigte man sich unter Gerhard Schröder auf einen Kompromiss.[9] Am 11. Mai 2005 wurde der KWO abgeschaltet, am 28. August 2008 wurde die Stilllegung eingeleitet[1]

Direkter Rückbau

Der Betreiber EnBW Kernkraft GmbH (EnKK) entschied sich für einen sofortigen Rückbau des Reaktors, der 500 Mio. Euro kosten soll.[4]

2008 wurde mit dem Rückbau begonnen.[10]

Anfangs wurden zunächst die Anlagenteile im Maschinenhaus abgebaut und verpackt, mittlerweile ist man zum Rückbau stärker verstrahlter Komponenten übergegangen. "Der große Dampferzeuger (...) wurde per Schiff nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern gebracht, wo das verstrahlte Kernstück der Stromerzeugungsanlage zerlegt wird. Ist das erledigt, kommt der Atommüll zurück an den Neckar, bis ein Endlagerstandort gefunden ist." Nach Erteilung der dritten Abbaugenehmigung soll der stark verstrahlte Reaktordruckbehälter vom Reaktorraum in das Brennelementebecken transportiert und dort zerlegt werden. Nicht radioaktiver Bauschutt soll auf die Mülldeponie gebracht, schwach strahlender Abfall in den Schacht Konrad überführt werden.[4]

Besorgnis bei Anwohnern

Wegen mangelnder Transparenz hat der Rückbau des Reaktors Besorgnis bei Anwohnern ausgelöst. Mehrere Bürger klagten Ende 2011 gegen den Rückbau und reichten im April 2012 einen Eilantrag zur Unterbrechung ein.[11] Die Anträge wurden vom baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) zurückgewiesen, das der Ansicht war, dass ein schneller Rückbau die Interessen der Kläger überwöge.[12] Im Dezember 2012 forderte die Initiative AtomErbe Obrigheim einen transparenteren Umgang mit dem "Freimessen" des Abbaumaterials. Gering belasteter freigemessener Müll kann z. B. für den Straßenbau wiederverwendet werden, stärker belasteter muss auf Deponien gelagert werden. Die Bürgerinitiative bezweifelte, dass der Müll die notwendigen Untersuchungen durchlaufen hat und die Vorgaben der Strahlenschutzverordnung erfüllt.[13] Im Februar 2012 stellte das Umweltministerium einen 104 Seiten langen Bericht mit Antworten zu Fragen der Bürger ins Internet.[4]

Dritte und vierte Phase des Rückbaus

Im Mai 2013 wurde die dritte Phase des Rückbauplans für den Reaktordruckbehälter mit Brennelementen genehmigt.[14] Am 12. September 2013 begannen die Energiewerke Nord (seit Februar 2017 Entsorgungswerk für Nuklearanlagen (EWN) genannt) damit, ferngesteuert den stark strahlenden Reaktor zu zerlegen.[15]

Das Atomkraftwerk besteht aus 275.000 Tonnen Material. Davon soll der Anteil an schwach- und mittelradioaktivem Atommüll, so die Planung des Betreibers EnKK aus dem Jahre 2014, auf etwa ein Prozent reduziert und irgendwann ins Endlager Konrad transportiert werden – sobald dieses zur Verfügung steht. Die 342 abgebrannten Brennelemente wurden 2014 in einem separaten Gebäude in Wasser gelagert und sollten später in Castoren auf dem Neckar in das Zwischenlager in Neckarwestheim überführt werden.[16] Zwei- bis dreitausend Tonnen Bauschutt sollen "freigemessen" und in der Deponie Buchen in Odenwald gelagert werden. Dort will ihn niemand haben, da man befürchtet, EnBW könne der Gemeinde weniger harmlosen Müll unterschieben.[17]

Am 3. November 2015 stellte EnBW den Antrag für die vierte und letzte Abbaugenehmigung beim Umweltministerium Baden-Württemberg.[18]

Am 19. August 2015 wurde der Reaktordruckbehälter in einer 14stündigen Aktion mit Hilfe der Krananlage ferngesteuert ausgebaut und zum Zerlegebereich des Gebäudes transportiert.[19] Die Zerlegung des Reaktordruckbehälters, die weitgehend unter Wasser stattfand, wurde am 27. Juli 2016 abgeschlossen. Ende 2016 wollte EnBw mit dem Rückbau des "Biologischen Schildes" (Betonstrukturen zur Abschirmung des Reaktordruckbehälters) beginnen.[20]

2025 möchte EnBW den Rückbau im atomrechtlichen Rahmen beenden.[10]

(Letzte Änderung: 27.01.2022)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 IAEO: PRIS - Country Statistics/Germany abgerufen am 27. Januar 2022
  2. 2,0 2,1 IAEO: LES CENTRALES NUCLEAIRES DANS LE MONDE von 1997
  3. EnBW: Kernkraftwerk Obrigheim (KWO) abgerufen am 27. Januar 2022
  4. 4,0 4,1 4,2 4,3 Badische Zeitung: AKW Obrigheim: Eine Ära wird abgewickelt vom 14. Februar 2013
  5. GRS: Weltweite Erfassung besonderer Vorkommnisse in Kernkraftwerken, Versuchs- und Forschungsreaktoren 1969 vom Dezember 1977 (via WayBack)
  6. DER SPIEGEL 30/2009: Zwei, eins, danke vom 19. Juli 2009
  7. BMU: Sicherheitsmanagement im AKW Obrigheim in Frage gestellt vom 11. Oktober 2002
  8. DER SPIEGEL 7/1994: Krach um den Kessel vom 13. Februar 1994
  9. Die Welt: Störfall Obrigheim vom 15. Oktober 2002
  10. 10,0 10,1 EnBW: Gute Fortschritte beim Rückbau in Obrigheim abgerufen am 27. Januar 2022
  11. taz.de: AKW-Rückbau in Obrigheim - Vorausschauende Öffentlichkeit vom 20. April 2012
  12. beck-aktuell: VGH Mannheim: Stilllegung und Abbau des Kernkraftwerks Obrigheim dürfen fortgeführt werden vom 25. September 2012 (via WayBack)
  13. fn web: Initiative fordert transparenteren Umgang vom 17. Dezember 2012
  14. Rhein-Neckar-Zeitung: Wie wird eigentlich ein Atomkraftwerk abgebaut? vom 25. Juni 2013 (via WayBack)
  15. nordic market: Heiße Zerlegung des Reaktors im Kernkraftwerk Obrigheim durch die EWN GmbH hat begonnen vom 21. September 2013 (via WayBack)
  16. OVB Online: Der Rückbau eines Kernkraftwerkes vom 5. April 2014
  17. Zeit Online: Die Stadt, das Kernkraftwerk und der Müll vom 14. April 2014
  18. Pressebox: Rückbau Kernkraftwerk Obrigheim: EnBW reicht Antrag für vierte Abbaugenehmigung ein vom 3. November 2015
  19. Rhein-Neckar-Zeitung: Kernkraftwerk Obrigheim: Das "Herzstück" ist raus vom 21. August 2015
  20. EnBw: Nächster Meilenstein beim Rückbau in Obrigheim erreicht: 135 Tonnen schweres Herzstück der Anlage ist vollständig zerlegt vom 27. Juli 2016 (via WayBack)
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