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Einstieg in die Atomenergie 1962

RWE-Turm in Essen
Die Initiative für den Einstieg in die Atomkraft ging in den 1950er Jahren von der deutschen Politik aus und stieß zunächst auf Widerstand bei RWE. Wie andere Energieerzeuger befürchtete RWE unkalkulierbare Kosten und sah aufgrund der Nutzung von Steinkohle und Erdöl keinen Bedarf für Atomkraftwerke. Auch war RWE eher an der Förderung erneuerbarer Energien interessiert.[1]
Der damalige RWE-Vorstandschef Heinrich Schöller mahnte bereits 1957 vor Problemen bei der Beseitigung des Atommülls. "Schöller glaubt, die Entsorgung der radioaktiven Abfälle könnte am Ende so kostspielig sein wie die gesamte atomare Stromerzeugung."[2]
Als sich jedoch das Ölgeschäft als unsicher erwies, Investitionen energieintensiver amerikanischer Aluminiumunternehmen anstanden und die Bundesregierung sich zu einer Übernahme des Risikos und massiver staatlicher Förderung von Atomkraftwerken bereiterklärte, entschied sich RWE freiwillig für den Einstieg in das Atomgeschäft.[3] Dieser begann de facto 1962 mit dem Entschluss, zusammen mit dem später in E.ON aufgegangenen Bayernwerk einen ersten Reaktor in Gundremmingen in Bayern zu errichten.[4], der 1966 in Betrieb genommen wurde.
Verfassungsklage und andere Klagen
Aufgrund des Moratoriums und des Beschlusses zum Atomausstieg musste RWE 2011 das Atomkraftwerk Biblis mit zwei Reaktoren vom Netz nehmen. Für den ehemaligen Konzernchef Großmann, der kurz zuvor die Laufzeitverlängerung durchgesetzt hatte, ein harter Schlag: Der Aktienwert ging um die Hälfte zurück, RWE erzielte kaum noch Gewinne.[5]
Im Februar 2012 hatte RWE bereits Verfassungsklage gegen den Atomausstieg eingereicht und Schadensersatz gefordert.[6]
Wegen der Abschaltung des Atomkraftwerks Biblis während des Moratoriums hatte RWE ein Verfahren auf verwaltungstechnischer Ebene angestrengt. Im Februar 2013 urteilte der Hessische Verwaltungsgerichtshof, dass die vorübergehende Stilllegung rechtswidrig gewesen sei. Am 14. Januar 2014 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dieses Urteil. Der hessischen Landesregierung drohte nun eine Schadenersatzforderung von RWE in Höhe von 190 Mio. Euro. Sie hatte versäumt, den Atomkonzern vor der Stilllegung anzuhören, wie dies gesetzlich vorgeschrieben sei. Auf den Bund dürfe die Verantwortung dafür nicht geschoben werden: Die Zuständigkeit für Biblis liege allein bei der Landesregierung.[7]
Am 25. August 2014 zog RWE wegen der Moratoriumsverfügungen zu Biblis A und B neuerdings vor Gericht und forderte in einer Klage Schadenersatz vom Bund und vom Bundesland Hessen.[8] Die Forderungen belaufen sich auf 235,3 Mio. Euro.[9]
Bei der mündlichen Verhandlung am 17. Dezember 2015 vor dem Landgericht Essen deutete der Richter an, dass RWE nicht auf die geforderten 235 Mio. Euro hoffen könne und schlug für einen Vergleich die Summe von 50 Mio. Euro vor. Alle Beteiligten lehnten einen Vergleich jedoch ab.[10]
Im Dezember 2016 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass RWE und Vattenfall Entschädigungen für bereits vorgenommene Investitionen und entfallende Reststrommengen zustünden. Im Juni 2018 setzte der Bundestag dieses Urteil in einem entsprechenden Gesetz um. Die Höhe der Entschädigung kann erst 2023 nach dem Atomausstieg ermittelt werden.[11]
Weitere Folgen des Atomausstiegs
Während der "Atom-Dino" und ehemalige RWE-Chef Jürgen Großmann noch behauptet hatte, "Solarenergie in Deutschland sei so sinnvoll wie "Ananas züchten in Alaska"", war für den neuen Vorstandsvorsitzenden Peter Terium das Kapitel Atomkraft abgeschlossen. Im Juli 2012 kündigte er an, statt in Atomkraft nun in erneuerbare Energien investieren zu wollen und Beteiligungen an AKW-Projekten im Ausland zu beenden.[12]
Im Oktober 2012 verkaufte RWE das gemeinsam mit E.ON betriebene britische AKW-Unternehmen Horizon wegen mangelnder Rentabilität an Hitachi.[13]
Atomkraftgegner kritisierten im Juni 2012, dass RWE noch keinen wirklichen Kurswechsel in Deutschland eingeleitet hatte. So sollte RWE die AKW Gundremmingen und Lingen/Ems sowie die Urananreicherungsanlage Gronau sofort stilllegen und seine Klage wegen der Stilllegung von Biblis zurückziehen.[14]
Im Januar 2014 kündigte RWE-Chef Terium an, unrentable Atomkraftwerke möglicherweise früher vom Netz zu nehmen, als im Ausstiegsplan vorgesehen. Als Grund dafür nannte er die fallenden Strompreise.[15]
Auf der RWE-Hauptversammlung am 23. April 2015 hatte Konzernchef Peter Terium angekündigt, möglicherweise dem Beispiel von E.ON zu folgen und RWE in verschiedene Gesellschaften aufzuspalten.[16] Am 1. April 2016 wurde die "Zukunftsgesellschaft" RWE International SE gegründet, über die künftig die Geschäftsfelder Erneuerbare Energien, Netze und der Vertrieb abgewickelt würden. Für Kraftwerke und Energiehandel bliebe die bisherige RWE AG zuständig.[17]
Vereinbarung zur Zwischen- und Endlagerung
Am 26. Juni 2017 unterzeichneten die Bundesregierung und die Atomkonzerne eine Vereinbarung zur Lagerung atomarer Altlasten. Die Atomkonzerne mussten in einen öffentlich-rechtlichen Fonds 23,6 Mrd. Euro einzahlen. Im Gegenzug trägt künftig der Staat die Verantwortung und alle Risiken für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls. Stilllegung und Rückbau der Atomkraftwerke müssen die Konzerne finanzieren. Zugleich stellte RWE seine Klagen ein.[18][19]
Weitere Quellen
→ Zeit Online: Der letzte Saurier vom 14. Juli 2011. Reportage zu Jürgen Grossmann, dem ehemaligen RWE-Chef und Atommanager
→ projektwerkstatt.de: Ein Riese mit Ausstrahlung (Studie von AG Atomindustrie und AK Chemische Industrie zu RWE) vom September 1984
(Letzte Änderung: 09.01.2024)
Einzelnachweise
- ↑ greenpeace magazin: Im nuklearen Fieberwahn - greenpeace magazin 2.05 - Wie das Atom der Welt - und uns - den Kopf verdrehte abgerufen am 17. Oktober 2011 (via WayBack)
- ↑ Zeit Online: Atomenergie Aufbruch ins Wunderland vom 30. September 2010
- ↑ Zeit Online: Wie ausgerechnet RWE sich gegen Kernkraft wehrte vom 12. Juni 2014
- ↑ fundinguniverse.com: RWE AG History abgerufen am 9. Januar 2024
- ↑ Hannoversche Allgemeine: Konzern reicht Klage ein - RWE-Chef poltert zum Abschied gegen Atomausstieg vom 20. April 2012 (via WayBack)
- ↑ RP Online: Schadenersatz gefordert - RWE klagt gegen Atomgesetz vom 19. April 2012
- ↑ hr-online.de: Biblis-Stilllegung war rechtswidrig vom 14. Januar 2014 (via WayBack)
- ↑ RWE: Moratoriumsverfügungen: RWE reicht Klage ein vom 25. August 2014 (via WayBack)
- ↑ FR Online: Biblis-Stilllegung - RWE will 235 Millionen Euro Schadenersatz vom 15. September 2014 (via WayBack)
- ↑ n-tv.de: RWE klagt wegen AKW Biblis - Gericht äußert Zweifel an Schadenshöhe vom 17. Dezember 2015
- ↑ n-tv.de: Entschädigung für Atomausstieg - RWE und Vattenfall erhalten Millionenzahlung vom 29. Juni 2018
- ↑ Handelsblatt: Der vermeintliche Abschied vom „Dinosaurier“ RWE vom 1. Juli 2012 (via WayBack)
- ↑ Reuters Deutschland: RWE und E.ON stoßen britische AKW-Firma ab vom 25. Oktober 2012 (via WayBack)
- ↑ Windkraft-Journal: RWE-Atompolitik: RWE bleibt echte Atomwende im Inland schuldig vom 18. Juni 2012 (via WayBack)
- ↑ manager magazin: Niedriger Strompreis - RWE will Atommeiler vorzeitig abschalten vom 21. Januar 2014
- ↑ RP Online: RWE-Hauptversammlung "Die Zeiten werden sogar noch rauer werden" vom 23. April 2015
- ↑ FAZ.net: RWE startet Zukunftsgesellschaft - 40 000 Mitarbeiter wechseln vom 31. März 2016 (via WayBack)
- ↑ tagesschau.de: Grünes Licht für den AKW-Milliardenpakt vom 19. Oktober 2016 (via WayBack)
- ↑ t-online.de: 24 Milliarden Euro - Energieriesen unterzeichnen Entsorgungspakt vom 26. Juni 2017 (via WayBack)