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3 Druckwasserreaktoren • Leistung: 1.009 MW/1.055 MW/1.089 MW
Typ: Framatome 3 loops/W (3-loop)/W (3-loop) • Hersteller: Konsortium •
Baubeginn: 1970/1976/1978 • Inbetriebnahme: 1975/1982/1985 •
[1][2]
Abschaltung: 2022 (Tihange-2)/2025 (Tihange-1)/2035 (Tihange-3)[3]
Tihange 2 abgeschaltet, Altreaktoren Tihange-1 und -3 sollen bis 2025 bzw. 2035 weiterlaufen
Das Atomkraftwerk Tihange liegt im Osten Belgiens, südöstlich der Stadt Liège.[4] Es ist nur 64 Kilometer von Aachen entfernt.[5]
Wie Doel wird auch das Atomkraftwerk Tihange vom Unternehmen Electrabel betrieben; Eigentümer ist die Société belgo-française d'énergie nucléaire mosane. Der ältere Reaktor Tihange-1 mit einer Leistung von 1.009 MW ist bereits seit 1975 in Betrieb, die Reaktoren Tihange-2 mit 1.056 und Tihange-3 mit 1.089 MW laufen seit 1982 bzw. 1985.[1] Tihange-2 ist am 31. Januar 2023 endgültig abgeschaltet worden.[3]
Hersteller von Tihange-1 waren ACEC, COCKERILL und Framatome (heute AREVA), von Tihange-2 Framatome, ACEC und COCKERILL und von Tihange-3 ACEC, COCKERILL und Westinghouse.[2]
Im EU-Stresstest schnitt das AKW Tihange wegen fehlenden Hochwasserschutzes besonders schlecht ab.[6]
Am 4. Juli 2012 entschied die belgische Regierung, dass Tihange 1 bis 2025 weiterbetreiben werden soll, also 10 Jahre länger als ursprünglich geplant, um Stromengpässe zu vermeiden.[7]
Die längere Betriebsdauer stellt eine große Gefahr dar, da das 37 Jahre alte Atomkraftwerk für Störfälle bekannt ist und es keinen Katastrophenschutz bei größeren Unfällen gibt.[8]
Im März 2022 kündigte die belgische Regierung an, Tihange-3 und Doel-4 bis 2035 weiterlaufen lassen zu wollen, um die Energiesicherheit angesichts stark angestiegener Energiepreise gewährleisten zu können.[9]
Störfälle
Im April 1985 verklebte Harz des Ionenaustauschers, das abgepumpt werden sollte, das Abflussrohr, weswegen ein Tank überlief. "Eine radioaktive Brühe aus Wasser und Harz »breitete sich in zwei Räumen in einem nuklearen Hilfsgebäude aus«, teilten die Betreiber der IAEO mit."[10]
Am 18. Juni 1988 wurde ein Leck im Notkühlsystem des Reaktorkerns entdeckt.[11]
Der gefährlichste Störfall, klassifiziert mit der INES-Stufe 2, ereignete sich 2002: Aufgrund eines versehentlich geöffneten Ventils kam es im AKW Tihange zu einem Druckabfall im Primärkreislauf und zum Verdampfen von Kühlwasser. Wenn die Sicherheitssysteme nicht reagiert hätten, hätte daraus eine Kernschmelze resultieren können.[12][13]
Am 4. Juli 2005 wurde bei einem Routinetest festgestellt, dass die Notstrom-Dieselgeneratoren nicht einsatzfähig waren.[14]
2010 liefen 600 Liter Säure aus und verseuchten die Maas.[15] Jahre lang liefen aus einem Brennelementelager zwei Liter radioaktives Wasser täglich aus; die Ursache dafür wurdebis 2013 nicht gefunden. Das AKW liegt zudem in erdbebengefährdetem Gebiet.[12] Im Februar 2013 wurde auf dem Gelände des AKW Tihange eine Bombe aus dem ersten Weltkrieg entdeckt, woraufhin das Personal des Bürogebäudes evakuiert und die Bombe in einem Steinbruch zur Explosion gebracht wurde.[16]
Am 30. November 2014 schaltete sich Tihange-3 per Notabschaltung automatisch ab, nachdem eine Explosion einen Brand an einem Transformator ausgelöst hatte.[17]
Risse am Reaktorbehälter
Im August 2012 wurden Tausende von Rissen in den Reaktorbehältern der Reaktoren Doel-3 und Tihange-2 festgestellt, woraufhin die Reaktoren vom Netz genommen wurden.[18][12] Nach Informationen vom Januar 2014 sind 8.700 Risse im Druckbehälter von Doel 3 und rund 2.000 Risse im Druckbehälter von Tihange 2 gezählt worden.[19]
2013 wurden die beiden Reaktoren intensiv getestet. Am 24. Mai 2013 verkündete Jan Bens, der Leiter der föderalen Agentur für Nuklearkontrolle (Fank), die Reaktoren seien zu "101 % sicher", eine Katastrophe sei trotz der Risse ausgeschlossen, wohingegen eine Wiederinbetriebnahme durch viele belgische und internationale Spezialisten als sehr gefährlich angesehen wurde.[20]
Da zusätzliche Tests bei Doel 3 und Tihange 2 nicht so erfolgreich verliefen, wie man sich dies erwartet hatte, wurden beide Reaktoren am 27. März 2014 von Electrabel neuerdings abgeschaltet.[21]
Im August 2014 wurde gemeldet, Doel-3 und Tihange-2 seien so schwer beschädigt, dass sie möglicherweise nie wieder ans Netz gehen könnten. Es sei nicht möglich, die Reaktordruckbehälter auszutauschen.[22]
Im Februar 2015 wurde bekannt, dass sich an den Reaktordruckbehältern der Einheiten Doel-3 und Tihange-2 nicht nur 10.000, sondern 16.000 Risse befinden, die wahrscheinlich auf Materialermüdung zurückzuführen sind. Die belgische Atomaufsicht befürchtete ein Problem für die ganze Atombranche weltweit.[23]
Proteste gegen die Wiederinbetriebnahme
Am 7. Juni 2013 wurde Tihange-2 unter zusätzlichen Auflagen wieder in Betrieb genommen. Die rheinland-westfälische Landesregierung erklärte in einer Kleinen Anfrage, dass sie dies bei Reaktoren "mit ihrem antiquierten technischen Design und den durch jahrzehntelange Nutzung beanspruchten Anlagensystemen" für unverantwortlich halte, und setzte sich mit dem damaligen Bundesumweltminister mit der Bitte in Verbindung, sich für eine "sofortige und dauerhafte Abschaltung“ einzusetzen.[24]
Die Regierung Luxemburgs, die Landesregierungen von Rheinland-Pfalz und dem Saarland, die Regierung der deutschsprachigen Minderheit in Ostbelgien und Umweltschutzorganisationen forderten wegen der Schäden und sonstigen Risiken die sofortige Stilllegung des Atomkraftwerks. Gegen den Weiterbetrieb protestieren grenzüberschreitend Atomkraftgegner aus Belgien und allen Nachbarländern.[12]
Auch bei einer Konferenz in Aachen im Januar 2014, an der das Aktionsbündnis gegen Atomenergie Aachen, renommierte Wissenschaftler und die Fraktion der Grünen/EFA im Europäischen Parlament teilnahmen, stieß die die Entscheidung für die Wiederinbetriebnahme auf Unverständnis.[25] Das Ziel der Konferenz war die Erstellung eines Berichts, mit dem die FANC, die Regierungen Belgiens und Deutschtands und die EU-Kommission unter Druck gesetzt werden sollten.[19]
Begleitet von Protesten nordrhein-westfälischer Politiker wurde Tihange-2 am 14. Dezember 2015 wieder ans Netz genommen. In Aachen waren deswegen eine Woche zuvor eine Notfallübung durchgeführt und ein GAU simuliert worden.[26]
Am 2. Februar 2016 legte die Städteregion Aachen Klage gegen das AKW Tihange ein. Zudem beteiligte sich die Städteregion an einer Klage von Greenpeace Belgien an Tihange-1. Die Klagen werden von diversen Gemeinden in NRW, Rheinland-Pfalz und den Niederlanden unterstützt.[27]
(Letzte Änderung: 16.04.2024)
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 IAEO: PRIS - Country Statistics/Belgium
- ↑ 2,0 2,1 IAEO: LES CENTRALES NUCLEAIRES DANS LE MONDE von 1997
- ↑ 3,0 3,1 nuklearforum.ch: Belgien: Tihange-2 trotz Kritik endgültig abgeschaltet vom 1. Februar 2023
- ↑ WNA Reactor Database: Tihange 1, Belgium abgerufen am 9. April 2016
- ↑ WDR: Atomkraft rund um NRW vom 21. März 2011 (via WayBack)
- ↑ Spiegel Online: Europäische Atomanlagen: Umweltschützer kritisieren AKW-Stresstest vom 14. Juni 2012
- ↑ BRF online: Wathelet: Electrabel blufft mit Drohung wegen Tihange vom 5. Juli 2012
- ↑ volksfreund.de: Neue Sorge ums belgische Atomkraftwerk vom 29. Juli 2012
- ↑ Focus Online: Kraftwerk nahe deutscher Grenze betroffen: Belgien verschiebt Atomausstieg um zehn Jahre vom 18. März 2022
- ↑ DER SPIEGEL 17/1987: Mir läuft der kalte Schauer über den Rücken vom 19. April 1987
- ↑ BOKU: Der „Super-GAU“ als neuer Auslegungsstörfall? vom 8. März 2012
- ↑ 12,0 12,1 12,2 12,3 zlv.lu: Schon wieder eine Panne im AKW Tihange vom 7. Juni 2013
- ↑ Deutscher Bundestag: Atomrisiken ernst nehmen – Auch in Bezug auf die nahe liegenden Atomkraftwerke in Belgien (Drucksache 17/13491) vom 15. Mai 2013
- ↑ Greenpeace: Der Jahreskalender: Juli vom 26. April 2006
- ↑ RP Online: NRW ist von Atommeilern umgeben vom 11. Januar 2012
- ↑ BRF: Bombe aus dem Ersten Weltkrieg am Atommeiler Tihange entdeckt vom 27. Februar 2013
- ↑ Basler Zeitung: Belgischer AKW-Reaktor nach Brand abgeschaltet vom 30. November 2014
- ↑ derStandard: Belgien: Riss im Reaktorbehälter von AKW vom 9. August 2012
- ↑ 19,0 19,1 Aachener Zeitung: Gegner von Tihange formieren sich neu vom 24. Januar 2014
- ↑ grenzecho.net: Kernkraft: Grünes Licht für Doel 3 und Tihange 2 - "Alles wurde getestet und berechnet" vom 24. Mai 2013 [Seite nicht mehr verfügbar]
- ↑ n-tv.de: Zwei AKW bestehen Tests nicht - Belgische Pannen-Reaktoren gestoppt vom 27. März 2014
- ↑ heise.de: Zwei belgische Atommeiler vor der definitiven Abschaltung? vom 20. August 2014
- ↑ taz.de: Risse in Atomreaktoren Belgien warnt den Rest der Welt vom 17. Februar 2015
- ↑ Landtag Rheinland-Pfalz: Wiederanfahren der Atomkraftwerke Tihange 2 und Doel 3 (Drucksache 16/2492) vom 25. Juni 2013
- ↑ deredactie.be: Aachen: Konferenz zu den Meilern Tihange und Doel vom 26. Januar 2014
- ↑ tagesschau.de: Atomkraftwerk Tihange in Belgien - Umstrittener Reaktor wieder hochgefahren vom 15. Dezember 2015 (via WayBack)
- ↑ Westdeutsche Zeitung: Städteregion Aachen beschließt Klage gegen AKW Tihange vom 2. Februar 2016 (via WayBack)