AtomkraftwerkePlag Wiki

Atomenergie in Europa > Frankreich > Tricastin (Frankreich)

4 Druckwasserreaktoren • Leistung: 4 x 955 MW • Typ: 4 x CP1 • Hersteller: Framatome •
Baubeginn: 1974/1974/1975/1975 • Inbetriebnahme: 1980/1980/1980/1981 • [1][2] Abschaltung: offen


Altreaktoren an der Rhône von 1980/81

Tn P1080585

AKW Tricastin (Frankreich)

Der Standort Tricastin ist wegen einer langen Liste von Pannen und Störfällen, insbesondere im Jahr 2008, immer wieder in die Schlagzeilen geraten.

Die Anlage befindet sich im südfranzösischen Département Drôme am Canal de Donzère-Mondragon neben der Rhône, südlich von Montélimar und nördlich von Orange und Avignon.[3] In Tricastin erzeugen vier Druckwasserreaktoren mit einer Leistung von je 955 MW Strom, die 1980 und 1981 in Betrieb gegangen sind. Eigentümer und Betreiber der Anlage ist die französische Gesellschaft Électricité de France (EDF).[1] Hersteller war Framatome (heute AREVA).[2]

2011 kritisierte das französische Institut für Nuklearsicherheit (IRSN), die Betreiber hätten nicht genügend Rücksicht darauf genommen, dass sich in der Nähe der französischen AKW Gravelines, Saint-Alban und Tricastin gefährliche Fabriken befinden, in denen beispielsweise Chemikalien produziert werden.[4]

Am 11. Februar 2015 genehmigte die französische Atomaufsicht ASN eine Verlängerung der Betriebszeit für den Reaktor Tricastin-2 um weitere zehn Jahre,[5] ebenso am 9. Juni 2015 für Tricastin-3.[6]

Anlagen zur Urananreicherung und -konversion

In der Nähe des AKWs Tricastin befindet sich die Urananreicherungsanlage George-Besse II, die am 14. Dezember 2010 den Betrieb aufnahm.[7]

Im Dezember 2018 wurde die Urankonversionanlage "Philippe Coste" in Betrieb genommen.[8]

Uranunfall von 2008

Am 8. Juli 2008 wurde Alarm in der Umgebung von Tricastin ausgelöst. In einer Anlage zur Behandlung von Uranlösungen auf dem AKW-Gelände waren 30 Kubikmeter (= 30.000 Liter) uranhaltige Flüssigkeit aus einem undichten Rückhaltebecken während der Reinigung ausgelaufen. "Ein Teil sei in die zwei Flüsschen Gaffière und Lauzon gelangt, teilte die Atomaufsichtsbehörde mit. In einem der beiden wurde eine Urankonzentration rund tausendmal über dem Normalwert gemessen, sank dann den Angaben zufolge aber schnell wieder ab." Wasserentnahme und Fischen wurden verboten. Die Behauptung der Aufsichtsbehörde, es bestünde nur geringe Gefahr, wies die Umweltschutzbewegung Sortir du Nucléaire als verharmlosend zurück. "Wer verseuchtes Wasser trinke, habe die Partikel im Körper. Auch bei geringer Strahlung entstehe dann erhebliche Krebsgefahr."[9]

Am 11. Juli, drei Tage später, untersagte die Atomaufsicht den weiteren Betrieb der Anlage, da die Sicherheitsmaßnahmen ungenügend seien. Es hieß nun plötzlich, 224 Kilogramm Uran seien ausgelaufen und davon 74 Kilogramm in die Gewässer gelangt.[10]

Die Einordnung des Unfalls als Störung der INES-Stufe 1 wurde von Sortir du Nucléaire bezweifelt, da Radioaktivität freigesetzt wurde. "Wenn man die Informationen der Behörden zugrundelege, sei der Vorfall mindestens als "ernster Störfall" auf Stufe 3 einzuordnen, wenn nicht gar als "Unfall" auf Stufe 4". Das Büro des Betriebsleiters wurde wegen des Verdachts auf Vertuschung untersucht.[11]

Andere Störfälle

Am 12. April 1987 wurde nach einem Leck in der Kühlung Wasser kontaminiert.[12]

1999 betrat ein Techniker unbefugt einen Bereich im AKW Tricastin, der eigentlich hätte versperrt sein müssen, und wurde stark verstrahlt. Das französische Elektrizitätswerk wurde verklagt und verurteilt.[13]

Am 27. Oktober 2002 wurde gemeldet, dass bei den Atomkraftwerken Blayais, Chinon und Tricastin Auslegungslücken bei Flutbehältern und Hilfsspeisewassertanks entdeckt wurden, was die Widerstandsfähigkeit dieser Komponenten gegen Erdbeben beeinträchtigen könnte.[14]

Am 16. Juli 2008, kurz nach dem Uranunfall in Tricastin (vgl. oben), wurden zusätzliche Strahlenbelastungen gemessen. Diese seien wahrscheinlich auf eine alte Atommülldeponie für militärische Atomabfälle zurückzuführen, die sich in einem sechs Meter hohen, nie abgedichteten Erdhügel befindet. Der Regen habe Uran herausgewaschen.[15]

Am 23. Juli 2008 wurden etwa 100 Menschen leicht kontaminiert, nachdem uranhaltige Flüssigkeit aus einem Schlauch ausgetreten waren.[16] Als kurze Zeit später Brennelemente ausgetauscht wurden, verkeilten sich zwei uranhaltige Behälter.[17]

Am 29. Juli 2008 wurde nach einem Alarm in Tricastin-4 das Personal evakuiert. "Mediziner untersuchten die Mitarbeiter, haben jedoch nach Angaben des Betreibers keine erhöhte Strahlenbelastung gemessen. Sortir du nucléaire berichtet hingegen, dass bei zwei von 45 Personen leichte Spuren von Radioaktivität gefunden wurden." Erst am 8. August wurde bekannt, dass einen Monat zuvor bei der Entsorgung von nuklearem Müll in Tricastin radioaktives Kohlenstoff-14 in die Atmosphäre freigesetzt wurde.[18]

Am 22. August 2008 wurde festgestellt, dass Uran wegen eines defekten Ventils in einen unterirdischen Abwasserkanal gelangt war. Das Leck existierte wohl schon länger und soll jährlich 250 Gramm Uran abgegeben haben.[19]

Am 8. September 2008 stellte man in Tricastin-2 fest, dass zwei Brennelemente in unnormaler Position lagen. Das Gebäude wurde vorsorglich geschlossen und evakuiert.[20]

Am 2. Juli 2011 ereigneten sich in Tricastin eine Explosion und ein Brand an einem Transformator. "Anwohner des südlich der Stadt Montélimar an der Rhône gelegenen Kraftwerks berichteten der Nachrichtenagentur AFP von riesigen Rauchschwaden über dem 600 Hektar großen Gelände."[21]

Die Sicherheit des AKWs ist zweifelhaft: Im Januar 2013 stahlen Unbekannte Pläne der Atomanlage Tricastin.[22] Am 15. Juli 2013 drangen Aktivisten von Greenpeace in das AKW ein. Mit Transparenten und Videoprojektoren wiesen sie auf die Gefährlichkeit von Tricastin hin und forderten die Schließung der Anlage.[23]

2022 leitete die französische Justiz Ermittlungen ein. Dem Betreiber EDF war von einem leitenden Kraftwerksbeschäftigten vorgeworfen worden, bei einem Vorfall 2018 der Atomaufsicht Umfang und Dauer verheimlicht zu haben. Der Betreiber wies den Vorwurf zurück; Ende September 2022 durchsuchte die Polizei das AKW und Büros der Atomaufsicht.[24]

(Letzte Änderung: 27.02.2024)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 IAEO: PRIS - Country Statistics/France abgerufen am 27. November 2021
  2. 2,0 2,1 IAEO: LES CENTRALES NUCLEAIRES DANS LE MONDE von 1997
  3. WNA: TRicastin 1, France abgerufen am 27. November 2021
  4. Süddeutsche.de: Experten fordern Nachrüstung französischer AKWs vom 17. November 2011
  5. nuklearforum.ch: Frankreich: weitere zehn Betriebsjahre für Tricastin-2 vom 17. Februar 2015
  6. nuklearforum.ch: Frankreich: weitere zehn Betriebsjahre für Tricastin-3 vom 15. Juni 2015
  7. nuklearforum.ch: Meilenstein für Georges-Besse-II vom 30. Januar 2013
  8. world nuclear news: Orano commissions new conversion facility vom 21. Dezember 2018
  9. Spiegel Online: Alarm in Umgebung: Uranlösung aus französischer Atomanlage ausgetreten vom 8. Juli 2008
  10. Spiegel Online: Sicherheitsmängel: Aufsichtsbehörde schließt französische Atomanlage vom 11. Juli 2008
  11. Spiegel Online: Verdacht auf Vertuschung: Polizei durchsucht Büros in Atomanlage Tricastin vom 25. Juli 2008
  12. tagesschau.de: Kosten von Atomunfällen - Fukushima, Tschernobyl und viele andere vom 11. März 2014
  13. arte: Atomare Sicherheit – wo stehen wir? vom 1. Oktober 2008 (via WayBack)
  14. nulearforum.ch: Frankreich: Erdbebensicherheit von Kernkraftwerkskomponenten untersucht vom 27. Oktober 2002
  15. Spiegel Online: Pannen-Anlage Tricastin: Hinweise auf ungesicherten Atommüll vom 16. Juli 2008
  16. Spiegel Online: Pannen-AKW Tricastin: 100 Menschen bei Inspektion verstrahlt vom 23. Juli 2008
  17. stern.de: AKW wegen Kühlproblem vom Netz genommen vom 3. Dezember 2009
  18. Spiegel Online: Zwischenfälle in Frankreichs AKW: Der Atomkraft-Weltmeister wankt vom 8. August 2008
  19. Spiegel Online: Uran-Austritt: Erneut Zwischenfall in französischem Atomkraftwerk vom 22. August 2008
  20. Spiegel Online: Erneute Panne: Reaktor in Tricastin evakuiert vom 9. September 2008
  21. stern.de: Feuer in Frankreichs Pannen-AKW vom 3. Juli 2011
  22. Zeit Online: Computer mit Plänen von französischer Atomanlage Tricastin gestohlen vom 25. Januar 2013 (via WayBack)
  23. FR Online: Greenpeace-Aktivisten protestieren am französischen AKW Tricastin vom 15. Juli 2013
  24. Berliner Morgenpost: Sicherheitsvorwürfe: Polizei durchsucht französisches AKW vom 28. Oktober 2022