Atomfabriken in Deutschland > Urananreicherungsanlage Gronau
Informationen zur Anlage
Erste Pläne für ein Atomenergiezentrum nahe der niederländischen Grenze waren 1976 bekannt geworden. Genannt wurden die beiden westfälischen Städte Gronau und Ahaus, deren Kommunalpolitiker sich hier wie dort für die Ansiedlung von Atomfabriken aussprachen, um den strukturschwachen Raum an der niederländischen Grenze zu fördern. Gegen diese Pläne gab es von Anfang an Widerstand von Bürgerinitiativen.[1] Die Entscheidung fiel schließlich für Gronau.
Die Urananreicherungsanlage Gronau (UAA) wurde im August 1985 in Betrieb genommen und besaß zunächst eine Kapazität von 1.000 Tonnen "Separative Work" jährlich (1000 tSW/A). 2005 wurde der Bau einer zweiten Anlage genehmigt, und die Kapazität hat sich auf derzeit 3.700 Tonnen erhöht (Stand: März 2023).[2]
Die UAA besteht aus zwei Urantrennanlagen (UTA1 und UTA2), in denen im Zentrifugenverfahren Uranhexafluorid auf einen Uran-235-Gehalt von bis zu 5 % angereichert wird.[3] Seit Erreichen der letzten Ausbaustufe 2012 kann die UAA 35 Atomkraftwerke mit angereichertem Uran beliefern.[4]
Betreiber der Urananreichungsanlage Gronau ist die → URENCO Deutschland.
Vom Atomausstieg ausgenommen
Die Urananreicherungsanlage in Gronau ist besonders umstritten, da sie als Widerspruch zum Atomausstieg angesehen wird und mit der Anreicherung, dem Transport und der Lagerung (vgl. dazu folgende Abschnitte) Gefahren verbunden sind.
Der BUND argumentierte, dass der Export angereicherten Urans schon jetzt, besonders aber ab 2022, nach Abschaltung der AKW, dem Ausstiegsbeschluss widerspreche. Außerdem sei die Anlage durch "Naturkatastrophen, Anschläge, technisches oder menschliches Versagen" gefährdet. Zudem könne in der Anlage innerhalb von zwei drei Wochen waffenfähiges Material hergestellt werden.[5] Ähnlich argumentierte Robin Wood.[6]
Es wurden immer wieder Anträge auf bzw. Anfragen zur Schließung der Anlage gestellt: am 17. Juni 2011 durch die Landesregierung Nordrhein-Westfalen,[7] im November 2011 von verschiedenen Abgeordneten und der Fraktion der Grünen,[8] im Februar 2013 durch die Grünen[9] und im Juli 2013 durch die Landesregierung Nordrhein-Westfalen, die deswegen das Atomgesetz ändern lassen möchte.[10]
Die Bundesregierung weigert sich bislang die Anlage zu schließen. Im März 2013 begründete sie das damit, dass sich diese "grundlegend von Kernkraftwerken und den Sicherheitsgründen, aus denen deren Abschaltung beschlossen worden sei", unterscheide.[9]
Am 30. Oktober 2017 wurden zwei Rechtsgutachten veröffentlicht, die das Bundesumweltministerium beauftragt hatte. Ein Gutachten kam zum Ergebnis, dass ein "Gesetz zur Beendigung der Urananreicherung und der Brennelementefertigung (..) mit hoher Wahrscheinlichkeit vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben" würde. Im anderen Gutachten wurde empfohlen, "Übergangsregelungen oder eine Entschädigungszahlung als Ausgleich für verlorene Investitionen und entgangene Gewinne" vorzusehen, um auch dann bestehen zu können, wenn ein Schiedsgericht angerufen würde.[11]
Exporte in alle Welt
Im September 2013 lehnte es die Bundesregierung neuerdings ab, die UAA zu schließen. Deutschland, das selbst den Atomausstieg beschlossen hat, beliefert Frankreich, Schweden, Finnland, Belgien, die Niederlande, die Schweiz, Spanien und China weiter mit Brennelementen aus Lingen und angereichertem Uran aus Gronau.[12]
2017 wurde bekannt, dass auch die US-Brennelementefabrik "WesDyne/Westinghouse" beliefert wird, die Teil des US-amerikanischen Atomwaffenprogramms ist und nicht nur Brennstäbe für kommerzielle AKW, sondern auch spezielle Brennstäbe zur Produktion von Tritium für Atomwaffen produziert. → Deutschlands Exporte: Verkauf an die USA
Uranlagerung
Auf dem Gelände der Urananreicherungsanlage gibt es ein großes Zwischenlager für den Ausgangsstoff Uranhexafluorid, der auch Uran-235 enthält. Außerdem soll oberirdisch abgereichertes Uran (U3O8) unbefristet gelagert werden. Da dieses Anteile des spaltbaren Uran-235 enthält, wird es vom Betreiber nicht als Atommüll, sondern als Wertstoff angesehen. Umweltschützer befürchten, dass das Zwischenlager wegen der unbefristeten Betriebsgenehmigung zu einem oberirdischen Endlager und so ein Präzedenzfall für ganz Deutschland wird. → Zwischenlager durch Urananreicherung
Im August 2014 wurden 18.510 Tonnen Uranhexafluorid unter freiem Himmel gelagert, gegenüber 2012 mit 6.700 Tonnen fast eine Verdreifachung.[13]
Urantransporte
Jährlich werden mehrere tausend Tonnen Uranhexafluorid mit Gütertransporten nach Gronau transportiert. Bei einem Brand würde dieses gasförmig und sich schnell in der Umgebung ausbreiten..[14]
Laut einer Studie vom September 2011 weisen die Transporte mit Uranhexafluorid (UF6) das "höchste Gefahrenpotenzial" auf. Dazu kommen Transporte mit unbestrahlten Brennstoffen. Des Weiteren werden Uranhexafluorid zur Konversion nach Pierrelatte in Frankreich und wieder abgereichertes Uranoxid (U3O8) zurück ins Zwischenlager Gronau transportiert. Auf einen beispielhaften Vorfall vom 8. März 2010 wurde hingewiesen: "Bei einer Polizeikontrolle auf der Autobahn A1 in der Nähe von Bremen wurde ein LKW mit durchgerostetem Transportgestell festgestellt, auf dem ein Behälter mit Uranhexafluorid transportiert wurde (...). Dem LKW wurde die Weiterfahrt zum Zielort Gronau untersagt. Der Behälter musste auf einen anderen LKW umgeladen werden."[15]
2010 und 2011 wurden von und zur Anlage 97 genehmigungspflichtige Transporte abgewickelt.[16] Atomkraftgegner kritisieren, dass die Termine für Atomtransporte von und nach der UAA geheim gehalten werden. Deswegen seien Rettungskräfte im Gefahrenfall nicht ausreichend vorbereitet.[17]
Von 1996 bis Ende August 2009 wurden übrigens 27.300 Tonnen Atommüll von der Urananreicherungsanlage nach Russland transportiert und dort in korrodierenden Behältern unter freiem Himmel gelagert. Erst am 17. Oktober 2009 wurden diese Transporte eingestellt.[18] Im Mai 2019 gelangten jedoch mehrere Tonnen Uranhexafluorid von Gronau nach Russland.[19]
Störfälle
Laut BASE sind 32 meldepflichtige Ereignisse bis Juli 2017 gezählt worden.[20]
Im Sommer 2006 war aus der Anlage uranhaltiges Wasser in die Umwelt ausgetreten, nachdem "die vorgesehene Gesamtmenge an verflüssigtem Uranhexafluorid überschritten war".[21]
Ein weiterer Zwischenfall ereignete sich im Januar 2010, als ein Mitarbeiter in einer Halle mit Uranhexafluorid-Behältern an Beinen und Füßen verstrahlt und mit einem Schock in ein Krankenhaus eingeliefert wurde.[22] Im Urin des Mitarbeiters wurde Uran entdeckt, und es muss mit Langzeitfolgen gerechnet werden. Nach dem Unfall demonstrierten Umweltverbände gegen die Anlage.[23]
Im Oktober 2010 fuhr ein Portalkran auf ein mechanisches Endlager auf, und im Januar 2011 sprang ein Notstromaggregat bei einer Überprüfung nicht an.[24]
Am 23. Juli 2011 wurde aus einer Heizung über ein Ventil Uranhexafluorid freigesetzt.[25]
Stresstest
Im Juli 2012 musste sich die Urananreicherungsanlage einem sogenannten "Stresstest" unterziehen. "Flugzeugabstürze, Erdbeben, Überschwemmungen, Brände und Stromausfälle" waren Risiken, zu denen der Betreiber Urenco Unterlagen einreichen musste – allerdings keine neuen, sondern solche, die Urenco aus früheren Genehmigungsverfahren schon vorlagen. Der Betreiber Urenco zieht als Fazit, dass der Sicherheitsstandard der Anlage "extrem hoch" sei.[26] Der Arbeitskreis Umwelt (AKU) Gronau und der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) kritisierten, dass nur nach "Aktenlage" geprüft wurde und viele Fragen offen geblieben seien (mögliche Störfälle, Entsorgung, Urantransporte etc.).[27] Atomkraftgegner kritisieren den Stresstest auch als "verharmlosend", da er Gefahren wie Terrorangriffe oder "chemische Folgereaktionen" ausblende.[28] Es wurde außerdem eine Vergrößerung der Flugverbotszone über der Urananreicherungsanlage gefordert.[29]
Laut Stellungnahme der Entsorgungskommission (ESK) vom 14. März 2013 wiesen alle Zwischenlager und Brennstofffabriken einen hohen Grad an Robustheit auf und hätten daher den Stresstest bestanden.[30]
→ Entsorgungskommission: ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland, Teil 1 vom 14.03.2013 (via WayBack)
→ Entsorgungskommission: ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland, Teil 2 vom 18.10.2013 (via WayBack)
→ Arbeitskreis Umwelt (AKU Gronau) (Homepage)
Fernsehbeiträge
- Von wegen Atomausstieg
"365-mal im Jahr erreicht zurzeit das gefährliche Uranhexafluorid (UF6) per LKW die Anlage im westfälischen Gronau. (...) In der Urananreicherungsanlage in Gronau wird das spaltbare Material in seiner Konzentration erhöht und an 50 Kunden in 17 Länder geliefert. Das dabei anfallende abgereicherte Uran wird unter freiem Himmel gelagert. (...)
Derzeit sind es an die 9.000 Tonnen. Genehmigt ist dort die zeitlich unbegrenzte Lagerung von insgesamt 38.100 Tonnen Uranhexafluorid. (...) Uranhexafluorid aus Gronau wird auch in das knapp 60 Kilometer entfernte Lingen transportiert, in Deutschlands Brennelementefabrik."[31]
[Anmerkung: Die Links wurden nachträglich im Wiki hinzugefügt.]
- Ausbau der Urananreicherungsanlage Gronau
"800 Millionen Euro will die Firma URENCO auf dieser Wiese investieren. (...) [Werner Bischoff, Landtagsabgeordneter:] "Und dieses Unternehmen hat eine Betriebsgenehmigung. Dieses Unternehmen ist angesiedelt worden mit der Perspektive, dass es weiter ausgebaut werden kann." (...) Ein Rechtsgutachten (...) besagt, dass der Ausbau per Gericht verhindert werden könnte. (...) Die Genehmigung der neuen Anlagen läuft in der Zwischenzeit ungestört weiter." Quelle: Video
(Letzte Änderung: 11.02.2024)
Einzelnachweise
- ↑ DER SPIEGEL 51/1976: Harter Einsatz vom 12. Dezember 1976
- ↑ URENCO: URENCO Deutschland abgerufen am 31. März 2023
- ↑ Urenco: enriching the future abgerufen am 14. August 2013 (via WayBack)
- ↑ Der Tagesspiegel: Europaweiter AKW-Stresstest - Blick zum Nachbarn vom 4. Oktober 2012
- ↑ BUND: Urananreicherung – kein Ausstieg in Sicht abgerufen am 22. Juni 2016 (via WayBack)
- ↑ Robin Wood: Uranfabriken stilllegen statt verkaufen vom 15. August 2012 (via WayBack)
- ↑ RP Online: Uran-Anlage Gronau läuft weiter - Rot-Grün enttäuscht Atomkraftgegner vom 7. Juli 2011
- ↑ Deutscher Bundestag: Drucksache 17/8041 - Strategische Position der Anlage zur Urananreicherung in Gronau vom 1. Dezember 2011
- ↑ 9,0 9,1 Deutscher Bundestag: Urananreicherung erfolgt weiter in Deutschland vom 7. März 2013
- ↑ Westfälische Nachrichten: Gutachter: Urenco-Betrieb nach Atomgesetz zulässig vom 12. Juli 2013 (via WayBack)
- ↑ BMUB: URENCO-Gutachten abgerufen am 18. November 2017 (via WayBack)
- ↑ NDR: "Plusminus": Nur halber Atomausstieg - Deutschland exportiert weiter Brennelemente vom 10. September 2013 (via WayBack)
- ↑ RP Online: Uranfabrik lagert Atomfässer im Freien vom 19. August 2014
- ↑ dradio.de: Zwischenlager durch Urananreicherung vom 28. Juli 2011
- ↑ gruene-bundestag.de: Studie zu Transporten radioaktiver Stoffe in der Bundesrepublik Deutschland vom Februar 2011, ergänzt im September 2011 (via WayBack)
- ↑ borkenerzeitung.de: Fast 500 Atomtransporte in zwei Jahren vom 6. November 2012 (via WayBack)
- ↑ Westfälische Nachrichten: Termine für Uranhexafluorid-Transporte nach Gronau werden geheim gehalten vom 5. November 2013 [Seite nicht mehr verfügbar]
- ↑ taz.de: Kein Müll mehr nach Russland vom 17. Oktober 2009
- ↑ Deutsche Welle: Urenco: Der Atomkonzern und das Problem mit den Uranabfällen vom 4. März 2020
- ↑ BASE: Anlagen zur Kernbrennstoffver- und -entsorgung in Deutschland: Meldepflichtige Ereignisse seit Inbetriebnahme abgerufen am 18. Mai 2019 (via WayBack)
- ↑ Neue Rheinische Zeitung: Gronau: Deutschlands strahlende Zukunft Ausgabe 204 aus dem Jahr 2008
- ↑ Der Tagesspiegel: Gronau - Arbeiter in Atomfabrik verstrahlt vom 23. Januar 2010
- ↑ FR Online: Atom-Zwischenfall in Gronau - Banges Warten auf die Diagnose vom 24. Januar 2010
- ↑ Westfälische Nachrichten: Neuer Störfall in Uranfabrik in Gronau vom 11. Januar 2011
- ↑ RP Online: Uranhexafluorid ausgetreten - Störfall in Gronauer Uranfabrik vom 26. Juli 2011
- ↑ Westfälische Nachrichten: Positive Bilanz: Die Urananreicherungsanlage Gronau hat den Stresstest bestanden vom 28. August 2012
- ↑ Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V.: Stresstest der Urananreicherungsanlage trägt nicht zur Beruhigung der Bevölkerung bei - Ausrüstung der Feuerwehr im Ernstfall ausreichend? vom 3. September 2012
- ↑ taz.de: Atommüll bis mindestens 2120 vom 2. April 2013 (via WayBack)
- ↑ Westfälische Nachrichten: Atomkraftgegner fordern größere Flugverbotszone - Demonstration an der UAA am 9. März vom 15. Februar 2013 (via WayBack)
- ↑ Entsorgungskommission: ESK-Stresstest für Anlagen und Einrichtungen der Ver- und Entsorgung in Deutschland, Teil 1 vom 14.03.2013 (via WayBack)
- ↑ DasErste.de: Von wegen Atomausstieg vom 11. September 2013 (via WayBack)