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Unvollendete Anlagen > Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf

"Nicht gefährlicher als eine Fahrradspeichenfabrik"

Murner See

Lagerhallen für Brennelemente der nicht fertiggestellten WAA Wackersdorf

Als Bayerischer Ministerpräsident hatte Franz Josef Strauß schon 1981 erste Pläne für eine Wiederaufarbeitungsanlage in Bayern angekündigt. Diese sei "nicht gefährlicher als eine Fahrradspeichenfabrik", und Strauß sicherte eine "rasche und ungestörte Realisierung des Projektes" zu.[1] Die WAW gewann auch an Bedeutung als Standort, als 1982 die Pläne für die Wiederaufarbeitungsanlage Hambuch/Illerich in der Eifel wegen massiven Widerständen aus der Bevölkerung scheiterte.

Die ganzen 1980er Jahren über versuchte Strauß unermüdlich, den Bau der WAA in Wackersdorf auch gegen unübersehbare Widerstände und Proteste in der bayerischen Bevölkerung durchzusetzen. Strauß argumentierte u. a. damit, dass ohne die WAA keine Atomindustrie in Deutschland möglich sei und ein "Rückfall ins vorindustrielle Armenhaus" drohe.[2] Aber auch in der SPD gab es viele Politiker, die den Bau der WAA unterstützten, da sie sich wirtschaftliche Vorteile für die Region erhofften.[3]

Auseinandersetzungen bis 1989

Schon 1981 war die erste Bürgerinitiative gegen das Projekt gegründet worden. Im Oktober 1985 endete eine Demonstration von 50.000 WAA-Gegnern mit blutigen Auseinandersetzungen, die von Zivilbeamten provoziert worden waren. Nach der Genehmigung durch den Verwaltungsgerichtshof am 10. Dezember 1985 wurde mit den Rodungsarbeiten begonnen, worauf die WAA-Gegner mit dem Bau eines Hüttendorfes reagierten. Ihren ersten Höhepunkt erreichten die Proteste im März 1986 mit zeitweise über 100.000 WAA-Gegnern und dem Einsatz von CS-Kampfgas. Es gab drei Tote: eine 61-jährige Wackersdorferin, die nach einer Auseinandersetzung mit der Polizei einen Herzanfall erlitt, und ein 38jähriger Ingenieur aufgrund eines Asthmaanfalls, der vermutlich durch das CS-Gas ausgelöst wurde. Nach der Tschernobyl-Katastrophe kam es während der Pfingstfeiertage zu weiteren massiven Demonstrationen, bei denen Bayern seine kompletten Bestände an CN- und CS-Gas einsetzte. "CS-Gas-Kartuschen werden aus Hubschraubern direkt in die Meschnenmenge abgeworfen, selbst Rot-Kreuz-Fahrzeugen bleiben davon nicht verschont. Über 600 Menschen werden teilweise schwer verletzt. Die DemonstrantInnen reagieren. Ein Mannschaftswagen der Polizei geht in Flammen auf. Danach herrscht Ausnahmezustand in der Region." Weitere Proteste folgten.[4] Im September 1987 starb ein Kriminalhauptmeister an den Folgen eines Zustammenstoßes zwischen einem Bundesbahntriebwagen und einem Polizeihubschrauber.[5]

Am 2. April 1987 hob der bayerische Verwaltungsgerichtshof die erste Teilerrichtungsgenehmigung auf, die Bauarbeiten wurden jedoch fortgesetzt. Am 29. Januar 1988 wurde der Bebauungsplan vom VGH München für nichtig erklärt. Dies Auseinandersetzungen dauerten bis ins Frühjahr 1989 an.[4]

→ Detaillierte Chronologien der Geschehnisse finden sich im "taz"-Artikel "Mir san die Chaoten" - Der Widerstand in Wackersdorf vom 31. Mai 1989 sowie im Wikipedia-Beitrag Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf.

→ Wikipedia: CN-Gas und CS-Gas

VEBA steigt aus politischen und ökonomischen Gründen aus

Wackersdorf wurde aus politischen und ökonomischen Gründen zu einer beispiellosen Niederlage für die CSU. Im Mai 1989 kam wie aus heiterem Himmel das Aus für das Projekt. "Denn da verkündet plötzlich die Veba, der größte Atomstromproduzent des Landes, dass man es sich anders überlegt habe. Man könne viel Geld sparen, wenn man den Müll in der französischen WAA La Hague behandeln lasse, zu einem Drittel der Kosten, die für Wackersdorf veranschlagt sind."[1]

In einem Interview, das am 17. April 1989 im "Spiegel" veröffentlicht wurde, ging der damalige Vorstandsvorsitzende der VEBA AG, Rudolf von Bennigsen-Foerder, näher auf die Gründe für die Entscheidung ein, aus der Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf auszusteigen. Zum einen brachte der Ausstieg betriebswirtschaftliche Vorteile: Die Energiekonzerne sparten sich damit zusätzliche Investitions- und Wiederaufarbeitungskosten in Höhe von sieben bis acht Mrd. Deutsche Mark – über zwei Mrd. Deutsche Mark waren bereits investiert worden. Zum anderen konnte mit der WAA ein großes Hindernis für die Akzeptanz der Atomenergie in Deutschland beseitigt werden. Bennigsen-Foerder wörtlich: "Wir haben die Chance, die heißgelaufene Diskussion über die Kernenergie in der Bundesrepublik zu entlasten. Wackersdorf ist zu einem Reizpunkt und zu einem Symbol geworden. Wenn wir die jetzt vorhandene Möglichkeit nutzen, die Wiederaufarbeitung woanders durchzuführen, dann können wir die politischen Spannungen verringern". Bennigsen-Foerder setzte auch danach auf Atomkraft, allerdings bezeichnete er sie als Übergangsenergie. Alternative Energien hielt er zum damaligen Zeitpunkt für unrentabel.[6]

Filme

Spaltprozesse_-_Wackersdorf_001

Spaltprozesse - Wackersdorf 001

Spaltprozesse - Wackersdorf 001, Trailer zum Film, 1987

"Seit Bekanntwerden des endgültigen Standorts der WAA am 4. Februar 1985 haben viele Oberpfälzer ihre gewohnten Bahnen verlassen. (...) Ehemals staats-gläubige Bürger wandeln sich in zaghafte Radikale. Beamtinnen, Hausfrauen und Mütter zeigen ein politisches und gesellschaftliches Verantwortungsbewußtsein, das über ihre anfängliche reine Empörung weit hinausreicht. Männer in lokaler Honoratiorenstellung scheuen weder offene Worte noch aktive Solidarität mit »Chaoten« bei CS-Gaseinsätzen am Bauzaun."[7]

Wackersdorf_-_Ein_Mythos

Wackersdorf - Ein Mythos

Wackersdorf - Ein Mythos, Trailer zum Film, 1996

"Vor zehn Jahren wurde mit dem Bau der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in Wackersdorf begonnen. In der Oberpfalz regte sich breiter Widerstand. Am Bauzaun lieferten sich WAA-Gegner und Polizeieinheiten harte Gefechte. Reizgas-Einsätze, Massenverhaftungen, Großdemonstrationen und Tausende von Gerichtsverfahren kennzeichneten die Zeit, bis im Mai 1989 der Bau der WAA eingestellt wurde. Zehn Jahre nach Baubeginn erinnern sich Veteranen des WAA-Widerstandes an die wilden 80er Jahre im Taxöldener Forst."[8]

Schreckgespenst_WAA

Schreckgespenst WAA

Schreckgespenst WAA, Film aus dem Jahr 2006

"Als über Weihnachten und Neujahr die Bagger stillstanden, nutzten die Demonstranten die Gunst der Stunde, um [mehr als 50] Baumhäuser zu errichten. (...) Nach der tumultartigen Räumung des Hüttendorfes" wurde ein gigantischer Zaun um das WAA-Gelände gezogen. "Mehr und mehr Menschen versammelten sich nun jedes Wochenende in Wackersdorf, bis zum 26. April, als es in Tschernobyl zur Katastrophe kam." An diesem Tag fing die Polizei an, auf die Demonstranten und die Presseleute einzuprügeln. "Panik entsteht, es gibt viele Verletzte, sogar einen Toten." Vor dem Amtsgericht Schwandorf wurden zur gleichen Zeit über 4000 Demonstranten, meist im Schnellverfahren, verurteilt.

(Letzte Änderung: 6.10.2013)

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 greenpeace.de: Wackersdorf - Erinnerungen an den Ausnahmezustand vom 29. Mai 2009
  2. DER SPIEGEL 17/1989: Laues Lüftchen vom 24. April 1989
  3. Focus Online: 25 Jahre Wackersdorf - Die Pfingstschlacht am Bauzaun vom 18. Mai 2011
  4. 4,0 4,1 taz: "Mir san die Chaoten" - Der Widerstand in Wackersdorf vom 31. Mai 1989
  5. merkur-online-de: Der letzte Pilot von Franz Josef Strauß vom 12. September 2007
  6. DER SPIEGEL 16/1989: Es lag jenseits unserer Vorstellungskraft vom 17. April 1989
  7. laika-verlag.de Spaltprozesse - Wackersdorf 001 abgerufen am 6. Oktober 2013
  8. vimeo.com Wackersdorf- ein Mythos? Was ist aus den WAA-Kämpfern von einst geworden? abgerufen am 6. Oktober 2013
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